Im Jahr 1996 veröffentlichte Ruth Klüger den Aufsatz Frauen lesen anders, der nun in dem Buch Lesen wir heute anders? Gespräche über eine These von Ruth Klüger kritisch beleuchtet wird. Dafür tauschten sich Studierende der FU Berlin mit sechs Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur aus: Esther Dischereit, Ilma Rakusa, Anna Kim, Jenny Erpenbeck, Miku Sophie Kühmel und Ann Cotten.
Ausgehend von Klügers These geben die Autorinnen einen Einblick in ihre persönlichen Sichtweisen bezüglich des Lesens, Schreibens und Denkens:
Miku Sophie Kühmel: „Ich würde behaupten, dass männliche Leser aufgrund des hohen Angebots an männlichen Identifikationsfiguren in Literatur – aber auch in Film und Kultur generell – nicht zwingend so emphatisch sein müssen wie weibliche Leser*innen.“
Anna Kim: „Ich habe schon als Kind begriffen, dass nicht alle mitsprechen dürfen: Mädchen, Frauen, generell Menschen, die ‚nicht erwünscht‘ waren, aus welchen Gründen auch immer. […] Schreiben ist für mich Mitsprechen, Einmischung und Protest.“
Miku Sophie Kühmel: „[I]ch würde dennoch behaupten, dass gerade weibliche Schriftsteller*innen es nochmal anders schwer haben, sich zu etablieren.“
Ilma Rakusa: „Für die damalige Zeit war Klügers Text aus meiner Sicht wichtig, aber ich finde, inzwischen ist er in einigen Punkten überholt.“
Miku Sophie Kühmel: „Meiner Meinung nach müsste man das nicht unbedingt Frauenliteratur nennen. Ich glaube vielmehr, dass es Sinn macht, das eigene Leseverhalten ein bisschen zu hinterfragen – wenn man denn Interesse daran hat.“
Ann Cotten: „In dem Moment, wo Frauen mitreden über die Definition von Frauen, löst sich der Begriff von Frau auf.“
Ilma Rakusa: „Man sollte das Andere suchen, um dazu zu lernen, sollte sich anderen Welten, anderen Denkweisen, anderen Kulturen öffnen.“
Anna Kim: „Ich glaube, dass Lesen alles sein kann, ein Gewaltakt, aber auch das Gegenteil, eine Geste von großer Zärtlichkeit, Liebe, das Entscheidende ist die Absicht, die hinter dem Lesen steht.“
Esther Dischereit: „Ich hatte im Grunde nur gelesen, was in der Schule vorgekommen war und das war nicht enorm viel.“
Anna Kim: „Lesen ist für mich daher immer der Versuch, das Scheitern zu überwinden.“
Jenny Erpenbeck: „Außerdem hatte ich immer das Gefühl, nicht als Frau zu lesen, sondern als Mensch.“
Anna Kim: „Ein Thema nicht nur aus einem, sondern aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, schult das Denken. Und genau darum geht es doch, wenn man liest, oder?“