In unserer Mini-Serie »Schönheit bei K&N« rücken ausgewählte Autor*innen in den Fokus, die tiefgründige Perspektiven auf das Thema Schönheit bieten und wertvolle Orientierungshilfen liefern. Den Auftakt macht Gábor Paál mit seinem bemerkenswerten Buch »Was ist schön? Die Ästhetik in allem«, erschienen bei Königshausen & Neumann.
Die Vielschichtigkeit der Schönheit: Ein Blick in Kunst und Alltag
Schönheit – ein Wort von kraftvoller Bedeutung, individuell wahrgenommen und universell verstanden. In der Kunst präsentiert sie sich in einer Vielzahl von Facetten, von Botticellis »Die Geburt der Venus« bis zu Duchamps provokativem »Fountain« von 1917. Kunstwerke wie Pollocks Farbspritzer, Jeff Koons’ »Balloon Dog«, Picassos Kubismus und Yoko Onos Performance-Kunst stellen unsere Vorstellungen stetig auf die Probe. Schönheit beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Kunstwelt. Sie spiegelt sich auch in Sonnenuntergängen, sakraler Architektur und sogar einer ordentlich sortierten Sockenschublade wider. Angesichts von Body Positivity, Pretty Privilege, Lookismus, kultureller Vielfalt und Digitalisierung erfordert die Schönheitsbetrachtung eine Neukonzeption und Diskussion, beeinflusst von Medien, Mode und Popkultur.
Die Essenz von Schönheit: Eine multidimensionale Exploration
In seinem Buch »Was ist schön? Die Ästhetik in allem« präsentiert Gábor Paál ein universelles Konzept, das den Kern dessen erforscht, was als ästhetisch betrachtet wird und was nicht. Dabei gelingt es ihm, die oft diskutierte Kluft zwischen den zwei Kulturen – der literarisch-geisteswissenschaftlichen und der naturwissenschaftlich-technisch-experimentellen – in einem übergreifenden Ansatz zu überbrücken.
Eine zentrale Grundlage seiner Überlegungen ist die Unterscheidung zwischen elementarer Ästhetik, die auf positiven Sinnesreizen basiert, und Erkenntnisästhetik, die auf positiven Assoziationen beruht.
Gabór Paál entwickelt seine Ideen weiter, indem er vier Dimensionen der Schönheit einführt, repräsentiert durch die Abkürzung E.S.O.K.:
E steht für die „Elementare Ästhetik“ der positiven Sinnesreize
S symbolisiert das „Selbst“, die Resonanz zwischen der Welt und des Ichs
O repräsentiert „Ordnung“, die in kognitiv leicht zugänglichen Erscheinungen sichtbar wird, wie zum Beispiel Symmetrie, Kohärenz, Simplizität, Eleganz und Homogenität
K betont den Wert der „Kreativität“, denn Schönheit wird auch im Flow-Zustand erfahren
Diese 4D-Darstellung bietet eine ganzheitliche Perspektive auf Schönheit in unterschiedlichen Kontexten, ohne dabei normative Maßstäbe vorzugeben. Es handelt sich um eine “Bottom-up”-Ästhetik, die auf vernunftsmäßigen Prinzipien basiert.
Wir laden unsere Leser*innen herzlich dazu ein, sich intensiv mit diesen theoretischen Betrachtungen auseinanderzusetzen. Als begleitende Lektüre empfehlen wir den Spickzettel zum Buch der Fürther Illustratorin und Lektorin Britta Wagner. Dieser illustriert aufschlussreich, wieso Geschmäcker so variieren können und warum Lasagne machen ein ästhetischer Akt ist.
„Jede Art von Vermittlung ist angewandte Ästhetik!“ – Gábor Paál
Jedes Werk, jede Theorie, hat ihre individuelle Geschichte, getragen von Erlebnissen, Gefühlen und Einflüssen. Um einen klareren Einblick in die Überlegungen und Intentionen von Gabór Paál zu erhalten, haben wir ihm einige persönliche Fragen gestellt.
Lieber Herr Paál, gab es einen entscheidenden Moment, der Sie dazu inspiriert hat, sich so intensiv mit dem Thema Schönheit auseinanderzusetzen?
Während meines Studiums gab es eine Phase, in der es mir schwerfiel, mich auf „schöne Dinge“ zu konzentrieren – z.B. auf ein Buch oder einen Film. Oder mich auf ein Konzert oder eine Landschaft einfach nur einzulassen. Oft sind meine Gedanken dann abgedriftet, nämlich zur Frage: Warum genau begeistert mich das jetzt? Sind es immer ähnliche Gründe – trotz der unterschiedlichen Art von Objekten? Hier habe ich zunächst versucht, für mich selbst Klarheit zu suchen, durch eigenes Nachdenken und indem mich in der Fachliteratur umgeschaut hatte. Ich verbrachte damals ein Studienjahr in Edinburgh und erinnere mich noch an meine kleine tragbare „elektronische Schreibmaschine“ – Laptops waren noch nicht erfunden. Das Gerät hatte sogar einen kleinen Datenspeicher. Der war aber mit den ersten vier Textseiten, auf denen ich meine Gedanken anfangs sortierte, schon ziemlich ausgelastet.
Glauben Sie, das Schöne kann Menschen moralisch gut machen?
Haben Sie ein persönliches Kunstwerk oder eine Begegnung, die Ihr Verständnis von Ästhetik maßgeblich geprägt hat?
Welche Reaktionen oder Feedbacks zu Ihrem Buch haben Sie am meisten überrascht oder berührt?
Wenn Sie jemandem, der sich noch nie mit Kunst oder Ästhetik beschäftigt hat, den Wert der Schönheit erklären müssten, wie würde sich das anhören?
Wie können Menschen Ihre 4D-Darstellung (E.S.O.K.) von Schönheit im Alltag anwenden? Kann es den Blick auf die Welt verändern?
Ich glaube, dass das Modell helfen kann zu verstehen: Was gefällt mir persönlich wirklich? Was davon sind Konstanten in meinem Leben, was nur flüchtige Moden? Dies zu verstehen, hilft überall dort, wo ich etwas plane, was schön werden soll – ob es mein Urlaub ist oder meine berufliche Zukunft. Darüber hinaus ist das Modell überall relevant, wo es um Kommunikation im weitesten Sinn geht. Im Design, in der Wissenschaft, in der Pädagogik, im Marketing oder in der Arbeitspsychologie.
Jede Art von Vermittlung ist angewandte Ästhetik!
Ich selbst wende die Kategorien in meinem Beruf als Journalist an. Wenn ich zum Beispiel Podcasts und Dokumentationen produziere, achte ich darauf, dass sie möglichst auf allen vier ästhetischen Ebenen überzeugen – immerhin hat mir das schon einige journalistische Auszeichnungen eingebracht.
Gábor Paál leitet die Redaktion SWR2 Wissen im SWR. Mit Schönheit beschäftigt er sich, seit ihn vor mehr als 30 Jahren sein Geographie- Studium mit Fragen der Landschaftsästhetik in Berührung brachte. Seine Ideen zu einer Ästhetik der Erkenntnis skizzierte er bereits 2003 in einem Fachbuch. Zahlreiche neue Forschungsergebnisse veranlassten ihn dazu, sie zu überprüfen und nun zu einem universellen Konzept von Schönheit weiterzuentwickeln. (Bild: SWR/Oliver Reutter)
Sein Buch ist als Print und eBook erhältlich bei K&N.
Bogdan Schmidt (K&N), September 2023