Gezählt, gewogen und zu leicht befunden – es ist zu spät. Die Schrift an der Wand sagt, dass der König Belsazar sein Leben verspielt hat. Dasselbe mag für uns heute gelten, wenn wir die selbstverursachte Zerstörung unserer Lebensbedingungen, den Ökozid, ernsthaft betrachten. Die Corona-Pandemie und der Krieg sind wie Symptome eines großen, ausweglosen Verhängnisses. Was macht das mit uns, wie fühlt es sich an? Der Schuld und der Angst vor Auslöschung vermag sich kaum jemand zu stellen, und die Gefahr seelischer Entgleisung, bis hin zu kollektiven Psychosen, ist groß. In diesem Essay werden alte Geschichten und neue Imaginationen vorgestellt, die den Schrecken nicht verleugnen, aber weiterführen können in eine hoffnungsvolle Zukunft.
Im Interview spricht der Autor Jörg Rasche, Psychotherapeut und Jungianischer Psychoanalytiker, über dieses Buch, über Ängste, aber auch Zuversicht in schwierigen Zeiten.
Menetekel ist der Titel Ihres Buchs. Wieso haben Sie ihn so gewählt?
Menetekel ist ein Schlüsselwort für die ganze apokalyptische Literatur. Und darüber hinaus ein Begriff, der als Warnung verstanden wird. Die Schrift an der Wand, die man erst nicht lesen kann, ist ein gutes Symbol für das, was wir heute erleben.
Ökozid und Klimakrise sind – zurecht – in aller Munde. Was macht diese Krise mit den Menschen?
Sie macht vor allem Angst, die natürlich auch von Leuten ausgenutzt wird. Sie macht hoffnungslos, aber stimuliert auf der anderen Seite auch viele Leute nachzudenken über ihr Leben, über ihren Lebenswandel, ihren Lebenszyklus, vor allem diejenigen, die Kinder haben. Das finde ich sehr wichtig und ich glaube, dass sich unser System an einigen Stellen grundlegend ändern muss. Zum Beispiel mit Hinblick auf die mengen an Insektiziden, die immer noch verwendet werden. Das ist eine Katastrophe. In meinem Garten an der Ostsee – wo man denken sollte, da ist die Natur noch in Ordnung – gibt es nur noch ganz wenige Insekten. Das heißt, die Vögel können ihre Jungen nicht mehr füttern, die Frösche nehmen ab. Für all diese Kreisläufe ist dies nur ein kleines Beispiel. Und die Bundesregierung hat beschlossen, bis 2030 nur die Hälfte der Insektizide zu verbieten. Das ist einfach unglaublich töricht. Und das macht verzweifelt und wütend. Da befürchte ich, dass die Bevölkerung durch diese Gefühle der Wut und Verzweiflung ein bisschen verrückt wird… deswegen habe ich auch von Psychosen geschrieben.
Mit Hinblick auf den Krieg in der Ukraine haben Sie auch noch viel an Ihrem Text gearbeitet. Haben sich Aspekte im Werk dadurch geändert?
Nein, ich habe nicht so viel geändert. Dieser Krieg ist ein Symptom. Was ich unglaublich finde ist, dass Putin nicht nur einen Krieg des 19. Jahrhunderts führt, sondern auch einen Krieg für fossile Energieträger, deren Zeiten ja nun wirklich auslaufen. Das macht er sich gar nicht klar. Und es ist tatsächlich so, dass die Energiebilanz der Landwirtschaft immer negativer wird. Es wird mehr Energie in die Produktion gesteckt, als der Ertrag, den die Natur danach bringt. Nicht nur bei uns; Das gilt sogar für die Ukraine, die ja so fruchtbar war.
Welche Gedanken kann man der Verzweiflung entgegensetzen?
Ich denke, der erste Schritt wäre, dass man sich nicht davor drückt. Sondern dass man sich das anschaut, denn es ist eine psychotherapeutische Grundregel, dass man in erster Linie seinen Verstand benutzen, nicht nur den Gefühlen folgen soll.
Wieso ist es ein guter Ansatz, mit Carl Gustav Jung auf diese Lage zu blicken?
Das Jungianische Denken habe ich gelernt, und ich glaube, Jung war sich der Gefahren, die unserer Zivilisation immanent sind, sehr bewusst. Er war vor allem beunruhigt durch die Gefahr der Atombombe, er hatte versucht, vor Hitler zu warnen; Es hat nicht richtig funktioniert. Er war ein Pionier in dem Versuch, zu einem Denken vor der Industrialisierung zurückzugehen. Er hat gesagt, wir sind in Kreisläufe involviert, die wir uns gar nicht bewusst machen können, und es ist sehr schwer, zurückzugehen. Deshalb seine – womöglich seltsam wirkende – Beschäftigung mit der Alchemie; er hat das »Rote Buch« geschrieben wie einen mittelalterlichen Kodex aus seinen Träumen, dieser sehr introvertierte Schweizer. Aber es ist ein Beispiel, wie man sich damit beschäftigen kann. Jede und jeder sollte sein eigenes Traumbuch schreiben, um sich darüber klarzuwerden, was in seinem Unbewussten, seinen Gefühlen eigentlich los ist.
Mehr zum Titel finden Sie hier.
Mehr zu Jörg Rasche unter https://www.joerg-rasche.de/
Das Gespräch führte Jasmin Stollberger