Der Name Michel Gondry ist nicht unbedingt so prominent wie der anderer als auteurs bekannter Filmemacher und -macherinnen (etwa Godard, Kubrick, Varda oder Almodóvar) und im Bereich des populären Kinos hat er nicht den selben Berühmtheitsgrad wie ein Spielberg oder Tarantino, aber er ist zweifellos eine Größe in jenem Kino, das sich zwischen den genannten Beispielen ansiedelt.
Wahrscheinlich kennen die meisten zumindest einige von Gondrys Arbeiten, auch wenn ihnen der Name selbst nicht vertraut ist.
Denn der Franzose zeichnet für diverse ikonische Bilder verantwortlich, die sich in das globale populärkulturelle Gedächtnis der letzten 30 Jahre eingebrannt haben: etwa die White Stripes aus Lego; die Foo Fighters, die in einem Traumszenario auftreten; oder Jim Carrey und Kate Winslet, die nebeneinander auf einem vereisten See liegen. In der Geschichte des Musikvideos wurde wahrscheinlich niemand so oft für seine Clips gefeiert wie Gondry und sein Langfilm ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND, dessen Plakatmotiv die genannte Szene mit Carrey und Winslet ziert, gilt vielen Filmkritikerinnen und -kritikern als einer der besten Spielfilme des 21. Jahrhunderts.
So leitet Michael Fleig Von Hand gedacht ein, sein vor Kurzem erschienene Monographie zum Werk Michel Gondrys. Im Interview geht der Autor auf seine Motivation und die Besonderheiten von Gondrys Werk ein.
Wie sind Sie zunächst zum Thema Ihres neuen Buches gelangt? Warum der spezifische Fokus auf Michel Gondry?
Meine erste Begegnung mit Michel Gondry waren seine Videoclips. Allerdings interessierten zu diesem Zeitpunkt vor allem die Titel und Interpreten, weniger die Regieführenden hinter diesen Clips. Als ich dann die DVD The Work of Director Michel Gondry entdeckt habe, bemerkte ich, dass viele Clips, die mich schon lange vor der Planung des Buchs faszinierten und die in zahlreichen Artikeln gepriesen wurden, aus der Hand Gondrys stammen. Zum anderen war es der Film Eternal Sunshine of the Spotless Mind aufgrund seiner ansprechenden Umsetzung der Gedächtnisthematik, der mein Interesse an diesem Regisseur weckte.
Danach verfolgte ich Gondrys weiteren Output, und es zeigte sich, dass sich seine Handschrift, was etwa Motive und Produktionstechniken angeht, nicht nur durch die verschiedenen Filme, sondern auch Musikvideos zieht. Dadurch begann ich, Gondry als eine neue Art von Auteur zu betrachten, einen Filmemacher, der über sein Werk hinweg einen audiovisuellen Kosmos kreiert, der auch Elemente inkludiert, die in der klassischen Autorentheorie weniger beachtet wurden. Obwohl Gondry ein berühmter Name war, über den immer wieder berichtet wurde, war an film- und medienwissenschaftlicher Forschung erst ein Grundstock vorhanden.
Eine ausführliche Arbeit, die sein komplettes Werk in den Blick nimmt und dabei wesentliche Aspekte, die in den bisherigen Einzelanalysen übersehen wurden, besser einordnen kann, stellte sich als Desiderat heraus.
Wie würden Sie die Heterogenität des Werks von Gondry näher beschreiben? Gibt es dennoch wiederkehrende Muster oder allgemeine Charakteristika?
Die Heterogenität in Gondrys Werk zeigt sich in verschiedenen Dimensionen. Seine Produktionen umfassen nicht nur Spielfilme und Musikvideos, sondern auch Dokumentarfilme, Werbeclips, Kurzfilme, die alle wiederum in verschiedenen Genres und Gestaltungsformen auftreten. Was eine eingehende Auseinandersetzung mit Gondrys Gesamtwerk also reizvoll macht, ist diese Vielseitigkeit, in der dennoch Kontinuitäten erkennbar sind.
So erscheinen z. B. die Dokumentation Is the Man who is Tall Happy? über Gespräche mit dem Philosophen Noam Chomsky und die Superheldenverfilmung The Green Hornet, ein vermeintlich Hollywoodtypischer Action-Blockbuster, auf den ersten Blick recht gegensätzlich, aber lassen in einigen Punkten doch interessante Verbindungen erkennen. Es gibt visuelle und thematische Linien, die sich durch nahezu alle Produktionen Gondrys ziehen: etwa der kindliche Blick auf die Welt, oder die Frage, wie unterschiedliche Arten von Bildern das In-Der-Welt-Sein des Regisseurs und seinen Filmfiguren beeinflussen. In Is the Man … übersetzt Gondry, das was Chomsky mit Worten ausdrückt, in anschauliche Zeichnungen, um es greifbarer zu machen. In The Green Hornet geht es um das typische „Bild“ eines Superhelden, dem der Protagonist nacheifert, durch seine Unbeholfenheit allerdings mehr zu einer amüsanten Dekonstruktion beiträgt.
Das Musikvideo Star Guitar für die Chemical Brothers erhielt viel Aufmerksamkeit, weil es die musikalische Struktur nahezu eins zu eins in visuelle Pendants übersetzt, ist hiermit aber lediglich das bekannteste Beispiel. Gondrys Musikvideos werden insgesamt häufig in die Tradition der Visuellen Musik eingereiht. Sein Film The Science of Sleep widmet sich der Aufgabe, Träume ins Bild zu setzen, und in Eternal Sunshine visualisiert Gondry Erinnerungen auf eine Art und Weise, für die er selbst aus der Neurowissenschaft viel Anerkennung bekommen hat. Eine weitere wichtige Verbindung zwischen den einzelnen Werken ist eine Affinität zu analoger Technik, die am deutlichsten in Spezialeffekten bzw. der charakteristischen Bastelästhetik offenkundig wird.
Was genau impliziert der Titel Ihres Buches Von Hand gedacht? Können Sie näher darauf eingehen?
„Von Hand gedacht“ ist die prägnanteste Formulierung, um das, was ich meine, was Gondrys Werke am meisten verbindet, auf einen Begriff zu bringen. Sie rekurriert zum einen auf eine Szene aus The Science of Sleep, in der der Protagonist Stéphane seine Zuneigung zu einer Frau damit begründet, dass sie Dinge mit ihren Händen mache, „als seien ihre Synapsen direkt mit ihren Fingerspitzen verbunden“.
Stéphane, der einhellig als ein Stellvertreter des Regisseurs gilt, ist ein leidenschaftlicher Bastler, und ein Großteil der Kulissen des Films, der zunehmend in Stéphanes Träumen spielt, besteht aus handgefertigten Basteleien aus einfachen Alltagsmaterialien. Auf die ein oder andere Weiße sind alle Protagonisten in Gondrys filmischem Kosmos Bastler.
Ein weiteres, anschauliches Beispiel ist Be Kind Rewind, in dem zwei Videothekenangestellte jüngere Hollywoodklassiker und deren Spezialeffekte nachstellen. Gondry nutzt diese Geschichte, um darüber auch etwas über seine eigenen Herangehensweisen in den Musikvideos zu erzählen, wo er mit simplen Techniken eindrucksvolle Effekte erzielt.
Um Gondrys Arbeitsweise genauer zu untersuchen, ziehe ich daher Lévi-Strauss’ Konzept der Bricolage heran, bei dem es darum geht, mit ungewöhnlichen Mitteln zu unvorhergesehenen Ergebnissen zu kommen. Das Endresultat einer Arbeit wird auf diese Weise nie perfekt, erhält aber eine individuelle und kreative Note, weil sich gewissermaßen die Hand, die daran gearbeitet hat, darin eingeschrieben hat.
Zusätzlich beziehe ich mich auf den Designer Otl Aicher, der über die Begriffsachse Hand/Auge/Visuelles eine bestimmte Art des Denkens und Schaffens bezeichnet. Das von Hand Gemachte in Gondrys Welten sehe ich damit als Ausdruck einer bestimmten Wahrnehmungs- und Denkweise.
In seinen Musikvideos und Filmen schafft Gondry nicht nur Aufmerksamkeit erregende und überraschende Effekte mit vergleichsweise einfachen Produktionsmethoden, sondern deutet dabei gerne auch an, wie diese Effekte zu Stande kommen. Im (vermeintlichen) Durchschaubarwerden von Konstruktionen und Erkennen von Zusammenhängen sehe ich daher eine weitere Kontinuität in Gondrys Werk, die sich aus der Philosophie des von Hand Gedachten ableitet.
Im III. Teil Ihres Buches widmen Sie sich dem Spannungsfeld ›analog/digital‹ – Wie würden Sie Michel Gondrys Position darin verorten?
In den 1990ern wurde Gondry zum internationalen Star der Musikvideoszene. Dies ist auch die Zeit der zunehmenden Digitalisierung der Filmproduktion. Um die Jahrtausendwende entstand dank CGI ein neues Kino der Attraktionen, das bisher Ungesehenes auf die Leinwand brachte. Die Aufmerksamkeit, die Gondry zu Teil wurde, beruht gerade darauf, dass er in seinen Videos und Filmen entgegen dem allgemeinen Trend zu digitalen Effekten häufig an analogen Produktionsverfahren festhielt. Die Digitalisierung des Kinos schafft damit den Hintergrund, vor dem sich Gondrys Bastelästhetik abheben kann. Von der Filmkritik wurde er interessanterweise gerade auch deswegen als Auteur gehandelt. Insbesondere die analogen Spezialeffekte werden als eine zentrale Komponente seiner Handschrift erkannt. Die längste Zeit der Filmgeschichte galten Spezialeffekte eigentlich als etwas Anrüchiges, als ein Ausdruck von Manipulation. Wenn digitale, in ihrer Konstruktion weitgehend unsichtbar bleibende Effekte aber zum Standard werden, scheinen im Falle Gondrys analoge, ihre Gemachtheit stolz offenbarende Filmtricks nun zur Signatur eines Auteurs, eines Filmkünstlers werden zu können – gerade, weil sie keineswegs aus einer starren Verweigerungshaltung resultieren, sondern eine bewusste Entscheidung im künstlerischen Prozess sind.
Das Spannungsfeld zwischen Analog und Digital zeigt sich jedoch nicht nur in dieser Gegenüberstellung, sondern auch innerhalb Gondrys Werk. In einigen seiner Videos nutzt der Regisseur sehr wohl ebenso ausgeklügelte digitale Bildergenerierung. In dem Video Like a Rolling Stone z. B. entwickelte er einen digitalen Effekt, der als Vorläufer der sogenannten Bullet Time gilt, die durch den Film Matrix berühmt und oft kopiert wurde. Ein anderes Beispiel ist der bereits genannte Clip Star Guitar, in dem er mittels CGI eine fotorealistische Ansicht aus einem fahrenden Zug kreiert, die nahezu perfekt mit dem Sound synchronisiert ist.
Bei den digitalen Komponenten in Gondrys Werk berücksichtige ich auch die neuen Möglichkeiten, die die filmische Autorenpolitik durch das Bonusmaterial auf dem um die Jahrtausendwende neuen Medium DVD bereichern. Gondry verdankt seine Bekanntheit als Musikvideoregisseur u. a. der 2003 herausgebrachten Compilation-DVD mit seinen Musikvideos samt Bonusmaterial wie Making-ofs. In den Making-ofs auf seinen Spielfilm-DVDs spielt er wiederum häufig selbstironisch mit der Vorstellung eines Film-Auteurs. Zusammen damit, dass seine Filmfiguren stets irgendwie um Anerkennung als Künstler ringen, offenbart sich sein Werk als ein genüssliches, selbstreflexives Autorenspiel, das hinterfragt, inwiefern selbst der Film-Auteur eine Form der Konstruktion ist. Ebenso spielt das Internet als Diskussionsplattform für auteurist cues eine Rolle. Hier zeigt sich besonders gut, dass diese Konstruktion keineswegs nur durch die Filmemachenden oder ihre Produktionsfirma aufgebaut wird, sondern auch von den Rezipierenden mitgestaltet wird.