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Der Autor Lothar Kraft. Foto: Thorsten Wulff, Lübeck 2013
Im Film „Der Schamane und die Schlange“ des kolumbianischen Regisseurs Ciro Guerra fordert der Schamane Karamakate aus dem Amazonasgebiet: „Lasst nicht zu, dass unser Lied verstummt.“
Ich habe diesen Appell als Titel für mein Buch gewählt. Denn mit ihm richtet sich der Blick zuerst auf die Vermächtnisse indigener bzw. indigen beeinflusster Musikkulturen und auf die bedrohte und beschädigte Identität der ursprünglichen Völker in den Amerikas. Zur Diskussion steht die Zukunft indigener Kulturen, oder wie es Lorenzo Aillapan aus Südchile in einem Gespräch ausdrückt: „Wir als Mapuche werden nicht verschwinden und die neue Generation wird Formen finden, damit unsere Kultur nicht verloren geht.“
Was Karamakate und Aillapan sagen und fordern, wird schwerpunktmäßig im Buch zur Sprache gebracht, z.B. im Kontext von Amazonas-Mythen, musikalischen Werken und Praktiken aus dem Norden oder Nordosten Brasiliens.
Meine Zusammenfassung von historischen, soziokulturellen Entwicklungen und Problemen der Musica erudita folgt weitergehend der Frage, welche Verbindungen zwischen kulturellem Erbe der indigenen amerikanischen Völker und dem in Europa entwickelten komplexen Gesamtkunstwerk Oper stattfinden und stattgefunden haben.
Oper gelangte primär mit den aus Italien stammenden Formen des Musiktheaters über den Atlantik und fasste Wurzeln. Die dann lange vorherrschende Opera italiana erreichte nicht nur die dichter besiedelten Küstenstreifen und Hafenstädte. Sie drang auch ins Landesinnere vor. So wurden z.B. in Brasilien seit dem 18. Jahrhundert Opernhäuser erbaut, in Minas Gerais, Goiás, Manaus oder Cuiabá, dem geografischen Mittelpunkt des riesigen Landes. Vor allem an den Plätzen, wo Gold geschürft oder Kautschuk gewonnen wurde.
Eine „Kultur in Bewegung“, einen transatlantischen Transfer, gibt es seit 1492/1500 zwischen Europa und Lateinamerika. Keineswegs nur in eine Richtung. Unübersehbar im Bereich der Nutzpflanzen: Kartoffel, Mais, Tomate, Kakao und auch Tabak, um nur einige sehr prominente Beispiele aufzuzählen, haben weltweit die Ernährungsgrundlagen und -gewohnheiten ebenso grundlegend verändert wie die Lebensstile.
Unterm Blickwinkel des Untertitels „Indigenes Erbe und Oper in Lateinamerika“ habe ich zahlreiche Beispiele für die Begegnung und Vermischungen europäischer und indigener Kulturströme versammelt und einige auch etwas ausführlicher vorgestellt.
Beispielsweise mit einer kleinen Exkursion zur ersten auch musikalisch gestalteten Messe in Brasilen und den sich dann entwickelnden zunehmend eigenständiger werdenden Traditionen.
Einen Schwerpunkt bildet auch die in diesem Riesenland nur punktuell gepflegte brasilianisch-portugiesische Hofmusik in Rio de Janeiro. Ein weiterer Augenmerk wurde auf die Schilderungen der Suche nach einer nationalen Musiksprache gelegt, die sich an den Konzepten des Indianismus und Indigenismus orientiert. So erweiterte sich der Blick auch auf die Entwicklungen in Argentinien, in Mexiko und seiner Maya-Halbinsel Yucátan, den vielsprachigen karibischen Raum mit seinen Hafen-Transfer-Orten und die Anden-Inka-Region, die viele europäische Librettisten und Komponisten inspirierte.
Um den Umfang der Studie nicht zu sprengen, konnte vieles nur angerissen werden, gerade auch hinsichtlich der Beziehungen bzw. der deutlichen Unterschiede zwischen süd- und nordamerikanischen Musikentwicklungen. Dank Youtube lässt sich freilich Musik, auf die nur stichwortartig verwiesen wird, vor Ohren führen und es stehen weitere Transportmittel zur Verfügung fürs individuelle Weiterreisen.