Vor Kurzem erschien bei K&N Myron Hurnas Zur Stilistik der politisch korrekten Sprache. Mit einem Essay Vier Dogmen der feministischen Linguistik.
Im Interview mit Jasmin Stollberger erläutert der Autor einige Aspekte seiner Überlegungen.
In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit politisch korrekter Sprache. Wie definieren Sie den Begriff?
Von Dieter E. Zimmer stammen sehr gute Formulierungen, um politische Korrektheit zu charakterisieren. Er spricht von einem „Bündel politischer und weltanschaulicher Meinungen“, von „Denkweise“, ja sogar von „Lebensstil“ (D. E. Zimmer: Deutsch und anders, S. 105). Sprachlich führe politische Korrektheit zu „sanktionsbewehrten Sprachregelungen“ (ebd.); ihr Ziel sei es unter anderem, für eine „Verfreundlichung des Alltags“ (ebd., 156) zu sorgen. Man kann aber auch Charakteristika aufnehmen, die sich in den Texten der Befürworter politisch korrekter Sprache zeigen; hier wären neben Genderlinguisten für den deutschsprachigen Raum vor allem Anatol Stefanowitsch oder Joachim Scharloth zu nennen. In ihren Texten drückt sich aus, dass es um die Förderung sozialer oder umweltpolitischer Werte geht, dazu gehören also Freundlichkeit, Respekt, Toleranz, Achtsamkeit, Tierethik, globale Ethik und vieles mehr. Man sollte diese Werte ernst nehmen, allerdings nicht ideologisieren. Was die Sprache der politischen Korrektheit betrifft, so gibt es viele Merkmale, die man linguistisch untersuchen kann: Das offensichtlichste Merkmal ist die Zensur von unliebsamen Ausdrücken, die Wortersetzung (schlechtes Vokabular wird durch besseres, dieses durch noch besseres ersetzt), die Chiffrierung von unliebsamen Ausdrücken (‘Neger‘ wird zu ‘N-Wort‘) und Eigenbezeichnungen von Gruppen werden statt Fremdbezeichnungen befürwortet (also statt ‘Eskimo‘ muss es ‘Inuit‘ heißen, statt ‘Muslimin‘ muss es ‘Muslima‘ heißen). Außerdem gibt es eine Tendenz zu abstraktem Vokabular bei den politisch Korrekten (beliebt sind ‘Diskurs‘ und ‘System‘, ‘systemisch‘ und ‘systematisch‘, oder ‘Struktur‘) und zum Gutsprech (positives Vokabular wie ‘integrieren‘, ‘fördern‘, ‘barrierefrei‘, ‘pro‘ usw.). Insgesamt werden Sprachgepflogenheiten und Traditionen hinterfragt und es wird versucht, in Sprachstrukturen einzugreifen (statt ‘Vater und Mutter‘: ‘Elter 1 und 2‘). Obwohl die politisch korrekte Sprache ein linkes Unternehmen ist, trifft sie sich doch häufig mit typischem Vokabular der politisch Rechten. Außerdem etabliert die politisch korrekte Sprache neues Stigmatisierungsvokabular für ihre Gegner (‘alter weißer Mann‘, ‘Terf‘, ‘Neokolonialist‘ usw.).
Allgemein wird der Verwendung politisch korrekter Sprache ja häufig vorgeworfen, sie fungiere vor allem als Deckmäntelchen. Wo wird das für Sie besonders deutlich?
Die politische Korrektheit hat ein gerechtfertigtes Anliegen, nämlich die Verbesserung unserer Gesellschaft zu unterstützen; leider ist die Sprache dafür nicht das geeignetste Mittel. Zunächst sieht es so aus, als sei Sprache ein gutes Instrument, all die positiven Werte durchzusetzen und Veränderungen zum Besseren zu fördern, denn schließlich wird die soziale Beziehung eines Sprechers von seiner Sprache beeinflusst. Das sieht man daran, dass verschiedene Sprecher in verschiedenen gesellschaftlichen Beziehungen unterschiedlich sprechen. So kann man, umgekehrt, auch mit seiner Sprache seine Beziehung zu anderen beeinflussen. Beispiel: Wenn ich im Gespräch höflich, freundlich oder sogar überfreundlich bin und negative Wörter, Stigmatisierung und Grobianismen weglasse, dann stellt mich das anders dar, als wenn ich negative Ausdrücke verwende. Insofern kann man davon ausgehen, dass Sprache und Sprechen wirkt. Insbesondere die Sprechakttheorie hat gezeigt, wie wir mit Worten handeln (etwas beeiden, schwören, sich entschuldigen, drohen, versprechen, beleidigen, komplimentieren usw. werden als wirksame Sprechakte angesehen). Trotzdem melden sich hier Zweifel. Denn auch wenn es so ist, dass beispielsweise verbale Drohungen, Komplimente, Beleidigungen, Lob und Kritik auf den Sprechpartner wirken, so ist es doch so, dass wir viele sprachliche Konventionen haben, um ggf. unsere vorhergehenden Worte unwirksam zu machen (bzw. sie als unwirksam zu deklarieren). So ist es beispielsweise gesellschaftliche Konvention, sich nach einer Beleidigung zu entschuldigen (bzw. um Entschuldigung zu bitten). So wäre einerseits die Wirksamkeit der Sprache belegt, andererseits kann mit einer kommunikativen Wirkung anderes entwirkt werden. Korrekte allerdings machen nur die eine Seite stark, zum Beispiel ist für sie eine Beleidigung, und vor allem eine rassistische, sexistische, antisemitische Beleidigung, sozusagen ewigkeitswirksam und stigmatisiert den Sprecher für immer. Sie überbewerten die einzelnen Ausdrücke und Sprachakte, anstatt Kommunikation wie ein Spiel mit Spielregeln zu betrachten, in dem man auch vieles entschärfen oder zumindest erklären und rechtfertigen kann. Zu stark ist die Behauptung der politisch Korrekten, dass Worte zu Taten führen, also dass negatives Denken über Minderheiten zu Diskriminierungshandeln führe. Hierfür sehe ich keinen Beleg. Daran schließt sich nun die Antwort auf Ihre Frage an, wo politische Sprache als Deckmäntelchen fungieren kann. Es gibt drei typische Gelegenheiten: a) So freundlich auch viele Gutsprecher sprechen, hinten herum klöppeln sie doch auch Abwertungsvokabular für diejenigen, die ihre Gegner sind und auch für solche, die einfach in Ruhe gelassen werden wollen (so behauptet die feministische Linguistin Maria Poper, Frauen, die nicht feministisch seien, seien „präfeministisch“…) b) Obwohl man gut und korrekt spricht, kann man trotzdem im selben Sprechakt doch das Negative sagen, das man eigentlich sagen will. Eine Schülerin schreibt einer anderen: „Ich will dich nicht fronten.“ Aber schon im nächsten Satz kommt scharfe Kritik am Verhalten der Angesprochenen. Hier ist die Einleitung bemäntelnd. c) Das ganze positive Vokabular von Achtsamkeit, Integration, Inklusion, Diversität, Respekt, Toleranz, Meinungsfreiheit, offene Gesellschaft usw. wird genau dann außer Kraft gesetzt, wenn es um harte politische Interessen geht – auch und gerade von denen, die sonst politische Korrektheit fordern.
Ich frage auch nach dem Gegenteil: Können Sie auch einen Fall beschreiben, in dem der Ruf nach politisch korrekter Sprechweise auch tatsächlich Veränderungen hat anstoßen können?
Wirkliche Effekte (Gleichstellung, Verbesserung individueller Chancen, Schließung von Lohnlücken, Gerechtigkeit usw.) sind schwer zu messen, denn Tatsachen müssen gedeutet und die richtigen, oder sagen wir besser: die breit akzeptierten und dauerhaften Kriterien für diese Werte müssen immer wieder neu gefunden werden. Die von den Korrekten bisher tatsächlich angestoßenen sprachlichen Veränderungen haben zunächst einmal eher für Unfrieden gesorgt – und für aufgeheizte Debatten. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass diese positive Nebeneffekte haben, die Wirkungen solcher Debatten und Veränderungen sind aber schwer zu steuern. Soweit politisch korrekte Sprache Eingang gefunden hat in gesetzliche und administrative Regelungen, so wirkt sie dadurch natürlich auch. Hier wäre die Frage, ob beispielsweise die Änderung juristischer Begrifflichkeit, etwa von ‘Vergewaltigung‘ zu ‘sexueller Übergriff‘, der Sache angemessen und nicht ein Einfallstor für ungerechte Behandlung ist. In diesem, wie die Korrekten sagen würden, ‘sensiblen Bereich‘ kommt es ja gerade auf angemessene Begrifflichkeit an. Dann: Sprachverbote wirken, aber sie wirken über Einschüchterung. Wir erkaufen uns das Lebensgefühl von A, der diskriminierungsfrei behandelt wird, durch die Einschüchterung und Bedrohung mit Sanktionen von B. Dabei wäre es besser, wenn grundsätzlich alles zunächst sagbar ist, denn erstens hat die Sprache immer Reparaturfunktionen, zweitens ist es besser, wenn die Menschen nicht nur durch externe Normen, sondern durch innere Werte, gar Tugenden zu einer besseren Kommunikation gelangen. Es ist mit einem modernen Menschenbild und mit dem oft proklamierten Bild einer offenen Gesellschaft besser vereinbar. Ich wünsche mir als Grundlage einer breiten Debattenkultur eine Beleidigungskultur, und übrigens, obwohl niemand danach fragt, eine breite Kultur des Komplimentemachens. Kommunikative Freiheit für alle bedeutet, dass auch der Angegriffene den Aggressor sprachlich in die Schranken weisen kann. Diese Freiheit ist ein Risiko, auch individuell mühsamer, und daher nicht gerne gesehen. Doch es ist der einzige Weg, um eine Gesellschaft, hier kommunikativ, nicht in Überreglementierung abgleiten zu lassen. Die nichtsprachlichen Freiheiten betrifft ein ausgewogenes Verhältnis von Normen und Werten noch mehr.
Sie gehen in Ihrem Text noch explizit auf „feministische Linguistik“ ein. Können Sie die Hintergründe hierzu kurz erläutern? Wie kam es dazu?
In Deutschland hat die akademische feministische Linguistik nach und nach recht stark gewirkt. Wirkung heißt aber auch, dass sich Irrtümer fortpflanzen, wie ich gleich zeigen werde. Besonders Luise Pusch und Senta Trömel-Plötz sind erwähnens- und heute noch lesenswert, auch für die Kritiker der Genderlinguistik. Die feministische Gegenwartslinguistik (u. a. Damaris Nübling, Henning Lobin, Gabriele Diewald) kann einerseits auf eine starke Tradition und andererseits auf moderne linguistische (Data)Methoden zurückgreifen, um mehr Einfluss zu gewinnen. An der frühen Genderlinguistik gab es auch taufrische Kritik, teilweise von Akademikern, die heute nicht mehr so bekannt sind. Zu diesen gehören auch viele liberale Kritiker, die nicht rigoros die Thesen der feministischen Linguistik ablehnten, wie etwa der Schweizer Anglist Ernst Leisi. Man sieht aber auch differenzierter, wenn man die alten Texte liest, zum Beispiel die Binnenkritik der Feministinnen. So ist wenig bekannt, dass auch Luise Pusch sich eher gegen das Pronomen ‘frau’ (als Pendant zum maskulinistisch gelesenen ‘man’) aussprach. Für einen Sprachforscher ist interessant, dass einige feministische Thesen nicht neu sind; in meinem neuen Buch werde ich viele Beispiele dafür nennen. Wenn Sie erlauben, teile ich eines schon jetzt mit: Schon lange vor der Diskussion des Ausdrucks ‘Kindesmissbrauch’, der nach Auffassung der damaligen Ministerin für Justiz, Christine Lambrecht, aus dem Strafrecht gestrichen werden solle, weil er einen legalen ‘Gebrauch von Kindern’ impliziere, schrieb Luise Pusch: „Verharmlosung: Der Ausdruck sexueller Missbrauch impliziert, dass es auch eine angemessene Art des Gebrauchs gibt, denken wir etwa an Alkoholmissbrauch, Tablettenmissbrauch.“ (Pusch: Alle Menschen werden Schwestern, S. 116) Diese Argumentation ist abwegig, denn niemand assoziiert so, und niemand hält ‘Kindergebrauch’ für eine Implikation von ‘Kindesmissbrauch’, und ‘Tablettengebrauch’ und ‘Alkoholgebrauch’ sagt eigentlich auch niemand. Die Sachen bzw. geistigen Zusammenhänge sind anders eingebettet, man sagt ‘Tabletteneinnahme’ und ‘Alkoholgenuss’. Ich war erstaunt, bei Lambrecht dieses alte Argument von 1989 wieder aufgewärmt zu finden. Warum ist die Beschäftigung mit Genderlinguistik zudem interessant? Die politisch Korrekten, allen voran eben Femlinguisten, behaupten, dass es in unserer Sprache ‘systemische Diskriminierung’, Pusch spricht von „Vaporisierung der Frauen“, gäbe. Sie behaupten etwa, dass maskuline Personenbezeichnungen Frauen sprachstrukturell (!) unsichtbar machen würden, so dass man mit verschiedenen Strategien (In-Movierung, Pronomen, geschlechtsübergreifende Feminina usw.) sprachliche Gerechtigkeit schaffen müsse. Nun hat aber für eine breite Öffentlichkeit sehr gut Daniel Scholten in seinen Blogbeiträgen und in seinem Buch Denksport Deutsch gezeigt, dass Maskulina (besonders Nomina Agentis) geschlechtsabstrahierend sind (auch Peter Eisenberg zeigt das). Man solle das Maskulinum besser ‘Standardgenus’ nennen. Er zeigt auch, wie Wörter, die aus anderen Sprachen entlehnt werden, im Deutschen automatisch zum Maskulinum, also zum Standard werden und den Artikel ‘der’ erhalten, wenn nicht andere Gründe für eine andere Genuseinordnung sorgen (wie Analogie: ‘das Tablet’, wegen: ‘das Tablett’). Nun würde sich aus der feministischen These, dass Maskulina stets nur Männer meinen, eine für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ungünstige Folgerung ergeben: Plötzlich würden alle Übernahmen aus anderen Sprachen, alle Ableitungen aus Adjektiven oder aus Eigennamen usw. für negative Personenbezeichnungen nur (!) Männer meinen, etwa: ‘der Underdog’, ‘der Outlaw’, ‘der Outcast’, ‘der Macho’, ‘der Doofi’, ‘der Heini’, ‘der Möchtegern’, ‘der Dämlack’, ‘der Schizo’, ‘der Proll’, ‘der Tyrann’ u.v.m. Diese Wörter widerstehen einer In-Movierung, eine ‘Machoin’ gibt es nicht. Das bedeutet, dass sich die pejorativen Ausdrücke für Männer schlagartig erhöhen im Verhältnis zu den spezifisch femininen Pejorativen, wie ‘Schlampe’. Selbst eine Heilung mit dem Adjektiv ‘weiblich’ davor wäre nicht möglich. Und dann hätten wir wirklich sprachliche Diskriminierung aufgrund einer sprachinternen Struktur! Stattdessen muss man der Genderlinguistik widersprechen: die maskulinen Wörter sind nicht maskulinistisch und meinen nicht nur Männer; es ist sogar natürlich zu sagen: ‘Caroline ist auch so ein Doofi.’
Vermag Sprache das überhaupt, unsere Gesellschaft gerechter machen?
Gerechtigkeit ist ein sozialer Wert, als zukünftig realisierter Wert ist er ein Ideal. Die wirkliche Gerechtigkeit ist aber, was sich ständig ausbalancieren muss, weil sich ja die Verhältnisse ändern. Wird ein Kuchen stets gleich auf vier Kinder verteilt und kommt ein Kind neu hinzu, dann muss neu balanciert werden. Einige Kinder werden es sicher als ungerecht empfinden, dass ihr Kuchenstück kleiner wird, auch wenn das Gerechtigkeitsprinzip der gleichen Verteilung eingehalten ist. In Wirklichkeit ändern sich die Verhältnisse stets, so dass die Sprache hinterher hinkt, inklusive Ausdrücke veralten lässt und daher gerechte Sprache kaum Wirkungen hat. Hier ist zu sagen, dass Sprache oft nur begleitweise zu realen, wirksamen Handlungen hinzutritt, auch wenn ich die Erkenntnisse der Sprechakttheorie und also die Wirksamkeit von Sprache nicht schmälern will. Aber Kolonialismus und Holocaust hätten auch sprachfrei stattfinden können, und gegenüber einem Schlag hat eine Beleidigung geringeres Gewicht. Um beides zu vermischen behaupten die Korrekten, dass Worte wie Schläge wirken, aber das ist nicht richtig. (Samuel Koch ergeht sich in dem Wortspiel, dass „Ratschläge auch Schläge sein können“…) Was Sprache tun kann: Sie kann vermitteln und reflexiv wirken; wir können uns durch Differenzierung von Ausdrücken genauer verständigen, aber die wirklichen Veränderungen kommen durchs Handeln. Sprachhandeln ist, zumal es konventionalisiert ist, schwächer als Tathandeln. Zu diesem Punkt passt, dass ich dafür plädiere, dass die Sprecherhoheit unbedingt aufrecht erhalten bleiben muss. Der Sprecher hat die Hoheit über das, was er sagt, nicht der Hörer, der aufgrund von Gefühlen die Rede seines Gegenübers einordnet. Der Sprecher muss im besten Fall das, was er sagt, und das, was er meint, zur Deckung bringen; erst dadurch würde er wirken und Sprechakte wie Versprechen, Lügen, Schwören usw. hätten ihre Gültigkeit. Wenn es zur Hörerautorität kommt, wie viele Sprachforscher und Aktivisten fordern, dann wird das, was gesagt wird beliebig. Letztlich will ja auch der Hörer in seiner Eigenschaft als Sprecher ernst genommen werden. Und auch die Korrekten wollen nicht, dass man ihnen ihre Worte im Mund herumdreht… Wenn also überhaupt Sprache unsere Gesellschaft gerechter machen kann, wenn sie eine Chance dazu haben soll, dann brauchen wir eine freie Kommunikation, in der alles sagbar ist (Beleidigungen und Komplimente, Lob und Kritik!) und in der der Sprecher sein Sprechen und Meinen in Einklang bringt, dafür aber auch die Hoheit über die Bedeutung seiner Rede inne hat.