In seinem Buch Amoklauf am offenen Lernort. Politisch korrekte Sprache bei Linken und Rechten geht der Autor Myron Hurna der zentralen Frage nach, wie sich politisch korrekte Sprache konkret gestaltet und schildert deren Verwendung an zahlreichen anschaulichen Beispielen. Um seine Grundgedanken zu dem Thema besser zu verstehen, gibt der Autor im Folgenden tiefere Einblicke zum Sujet seines Buches.
Myron Hurna im Gespräch mit Paulina Carl:
Sie haben sich bereits in Ihrem letzten Buch Zur Stilistik der politisch korrekten Sprache mit diesem Thema beschäftigt. Was hat Sie dazu bewegt, die Thematik erneut aufzugreifen?
Es ist sogar das vierte Buch über politisch korrekte Sprache (pkS), das zweite bei K&N. Das Thema habe ich neu aufgegriffen, weil ich erstens mehr Wortmaterial erhalten habe, zweitens habe ich mich mehr in die Schriften der Korrekten und in ihre Theorien eingelesen. Dann gab es zwangsläufig den Wunsch, die neuen Phänomene zu behandeln. Zum Beispiel kommen im Wochentakt neue Ersetzungen von problematisierten Ausdrücken, und irgendwann wirft das interessante Fragen auf.
Worin liegt nun in Amoklauf am offenen Lernort Ihr primärer Fokus?
Es sind sogar zwei Schlaglichter: Ich untersuche einmal die stilistische Fülle der pkS, dann auch das, was die Korrekten, die oft Sprachwissenschaftler sind, „Strukturen der Sprache“ nennen. Die Stilistik ist ein unerschöpfliches Thema: Es geht darum, dass die Korrekten ihre Ideen und Anliegen rhetorisch einkleiden, um andere für sich zu gewinnen. Das kann mit Wortspielen, Alliterationen, Reimen, Neuschöpfungen, Slogans und vielem mehr geschehen. Was die angeblichen Strukturen der Sprache betrifft, die nach den Korrekten dazu führen, dass das Deutsche unterdrückend ist, so weise ich nach, dass es fast nie um Konzepte des Denkens geht, wie oft behauptet wird, sondern immer um Konventionen.
Zeigt man, dass der größte Anteil des Sprechens auf Konventionen beruht, so kann man auch zeigen, dass es keine moralisch zu diskreditierenden Bereiche oder abzuschaffenden Mechanismen des Deutschen gibt, also auch keine, die ungerecht oder diskriminierend sind. Wenn die Korrekten die Welt verbessern möchten, dann geht es jedenfalls nicht über Sprache. Wenn aber ihre Behauptung, dass man mit Sprache Macht ausüben kann, kohärent sein soll, dann sind vor allem sie es, die durch ihre pkS (Zensur, positives Vokabular, Kritik an etablierten Worten usw.) Macht auf das Sprecherkollektiv ausüben. Im Grunde genommen zeige ich in allen meinen Büchern vor allem das.
Sie veranschaulichen den Bestand politisch korrekter Sprache anhand zahlreicher Beispiele. Erkennen Sie dabei zentrale, wiederkehrende Muster?
Ja, aber diese kann ich wiederum nur beispielhaft aufzählen: Die pkS behauptet u. a., dass unserer Sprechsprache Konzepte zugrunde liegen, etwa die Vorstellung von Geschlecht oder Hautfarbe. Das ist aber, wenn überhaupt, nur ein kleiner Bereich. Geschlecht wird beispielsweise bei allen Ausdrücken von Verwandtschaftsbeziehungen relevant, aber nie allein und nie vordringlich. Muster der korrekten Sprachkritik sehe ich auch bei Umdeutungen, etwa dem Genus Commune oder bei Begriffen wie „Clankriminalität“, „Nafri“, „erweiterter Suizid“, „Häusliche Gewalt“ usw., die die Korrekten bekämpfen. Das Muster ist hier die Ausdeutung, etwa dass man behauptet, diese Begriffe seien in sich unwahr, weil sie etwas verschleiern, oder sie seien unmoralisch, weil sie Gruppen stigmatisieren. Dem ist nicht so; der normale Sprecher weiß, wie diese Ausdrücke gemeint sind. Aber um noch etwas anders auf Ihre Frage zu antworten:
Ein Muster ist ja etwas, was immer wieder auftritt und einen Inhalt auch in gewisser Weise formt. Oder musterhaft ist eine Herangehensweise, die irgendwie schematisiert ist. Zur letzteren zählt, dass immer mehr Ausdrücke problematisiert werden, obschon es diese Ausdrücke nicht verdienen. Die politisch Korrekten führen dadurch auch den Anspruch einer nicht überwiegend politischen Korrektheit ein, sondern den einer sachlichen Korrektheit der betreffenden Ausdrücke, die sie bestreiten. Und das geht dann auch über die Expertise der Korrekten hinaus und greift die Sprache dort an, wo es eigentlich auch aus Sicht der Korrekten nicht notwendig ist. In Wörter wird etwas hineingedeutet, was nicht drinsteckt, etwa die „Scham“ im Wort „Schambereich“. Dieser ist nun ganz und gar nicht ein „Schandbereich“ oder ein „Beschämungsbereich“; das Wort „Scham“ ist im Kompositum von seiner ursprünglichen Semantik fortentwickelt und entschärft worden. „Schambereich“ ist sogar der gehobenere Ausdruck für die bezeichnete Sache. Also, ein Muster, eine Masche, wenn Sie so wollen, ist das falsche Ausdeuten von Wörtern.
In Ihrem Fazit (S. 335f.) machen Sie Ihre Kritik für politische Korrektheit laut – können Sie Ihre zentralen Kritikpunkte noch einmal kurz zusammenfassen? Sehen Sie in der derzeitigen Entwicklung unserer Sprache (wie z. B. der Verwendung abgeänderter Wörter oder dem inklusiven Sprechen) auch gewisse (gesamtgesellschaftliche) Vorteile?
Jede sprachliche Veränderung, wenn sie aktivistisch forciert wird, ist zweischneidig, bringt also für die einen Vorteile (etwa sozial harmonisierendes Sprechen), für die anderen Nachteile (Sprechverbote). Trägt man die Ambivalenz zugleich in viele sprachliche Bereiche hinein, so nimmt die gesellschaftliche Spaltung zu. Deutlich wird das in Folgendem: Die politisch korrekten Sprecher und Aktivisten fordern ein positives Vokabular (vieles stammt eigentlich aus der Pädagogik), also Ausdrücke wie „solidarisch“, „barrierefrei“, „sozial ausgewogen“, „gesamtgesellschaftlich“, „Inklusion“, „Gemeinschaft“, „Zusammenland“, „lösungsorientiert“, „nachhaltiger Lösungsansatz“ usw. Wichtiger sind vielleicht noch die korrekten Anreden („Frau“ und „Dame“ statt „Fräulein“; Anreden nach dem Wunsch der angeredeten Person usw.).
Das politisch Korrekte hat dabei das normale Höfliche und Gesittete ersetzt; man ist heute nicht nur höflich, sondern überhöflich, dann aber auch übervorsichtig. Es geht bis zur Selbstzensur. Andererseits bedienen sich die Korrekten selbst zahlreicher Abwertungsvokabeln für ihre Kritiker und politischen Gegner. Und das ist ein großer Widerspruch der Korrekten – und zeigt zugleich, dass wir eine Gesellschaft nicht auf diesem Weg befrieden können.
Zuletzt plädieren Sie dafür, dass „alle politisch inkorrekten Ausdrücke […] prinzipiell gesagt werden [können], wenn es eine sachliche Rechtfertigung dafür gibt“. Sehen Sie hierbei nicht möglicherweise auch eine Gefahr in Bezug auf die subjektive Auslegung von Sachlichkeit? Oder sehen Sie darin einen nachhaltigen Lösungsansatz innerhalb der Diskussion?
Nein, ich sehe keine Gefahr. Die durchschnittlichen Sprecher haben schon ein natürliches Gespür für das, was sie sagen, wenn sie unbefangen sprechen können. (Jeder Muttersprachler ist Experte seiner Sprache.). Noch besser ist es, wenn Sprecher eine große Ausdrucksbreite haben, derer sie sich frei bedienen können. Dann ist die Chance, angemessen zu sprechen, übrigens auch höflich zu sprechen, am größten. Die Unsicherheit führen erst Sprechverbote ein, auch die drohenden Sanktionen bei falschem Wortgebrauch (hier kommen informelle und formelle Strafen in Betracht). Ich denke, niemand hat eine Beleidigung vor ab auf den Lippen, sondern lässt sie nur bei einem intersubjektiv nachvollziehbaren Grund heraus. Und der Gebrauch vieler Worte ist nicht deshalb schon inkorrekt, nur weil es Aktivisten behaupten, die oft für Gruppen sprechen, die eine andere Meinung haben als sie. So ist zum Beispiel nicht zu erkennen, warum der Ausdruck „Eskimo“ inkorrekt sein sollte, denn es ist sprachhistorisch nur natürlich, dass Ausdrücke als Fremdbezeichnungen entstehen. Darin liegt nichts Trennendes oder Böswilliges. Das, was zu einer Sprechsituation an Sachlichkeit gehört, ist überwiegend genauso Gemeinbesitz des Sprecherkollektivs, wie es die Worte und die damit geteilten Vorstellungen sind. Die Gefahr einer subjektiven Auslegung liegt doch offenkundig dort, wo Männer wünschen, als Frauen angesprochen zu werden. Ich kann auch verstehen, wenn Sinti und Roma nicht kollektiv als „Zigeuner“ benannt werden möchten, dennoch hat es an sich keinen stigmatisierenden, kriminalisierenden oder despektierlichen Charakter, wie ich nachweise. Hier wird eine Genauigkeit abverlangt, die der einzelne Sprecher nicht dauerhaft leisten kann, etwa wenn er korrekt „Muslima“ statt „Muslimin“ sagen muss, wie es aber nach dem Bildungsprinzip für Feminina ganz natürlich wäre. Sachlichkeit im Sinne von Genauigkeit ist jeder Umgangssprache übrigens fremd und wird nur in Fachsprachen angewandt. Wenn Korrekte also auf „Muslima“ bestehen, dann passt es nicht, wenn sie von „Traumatas“ reden, einem falschen Plural von „Trauma“… Nun, ich kann auch verstehen, dass man verzweifelt, wenn man in Netzdebatten auf „Hass und Hetze“ (so eine der beliebten korrekten Alliterationen) stößt. Man wünscht sich, die User würden sachlich bleiben und sich der Beleidigungen und Stigmatisierungen enthalten. Aber die Korrekten haben einen nicht unmaßgeblichen Anteil an der heftigen, teils unterirdischen Kritik, die ihnen entgegenschlägt, weil sie das wichtige und persönlichste Ausdrucksinstrument aller, die Sprache, attackieren. Auch in einer harmonisierten Welt verliert man schnell die Geduld.
Das Buch ist im April 2024 sowohl als Print als auch als E-Book bei K&N erschienen. Weitere Informationen zum Buch finden sich hier.
Paulina Carl, K&N