Prof. Dr. med. Michael Schmidt war Arzt für Innere Medizin & Lungenheilkunde an einer Universitätsklinik. Heute gibt er Ethikseminare für Studenten, Ärzte und Pflegende, arbeitet in der außerklinischen Ethikberatung und als Autor.
Bei Königshausen & Neumann sind von ihm bisher drei Bände zur Ethik im Gesundheitswesen erschienen. Auf dem K&N-Blog stellt Michael Schmidt sein Projekt vor.
Praktische Ethik ist heute ein komplexes Gebiet mit vielen Bereichsethiken. Man sucht nach moralischen Wegen, die hohen Güter und wichtigen Werte dieser Bereiche zu schützen. Medizinethik ist eine solche Bereichsethik und sie hat eine zweieinhalbtausendjährige Geschichte. Im Lauf der Jahrhunderte haben Weltanschauungen, politische und soziale Bedingungen Einfluss darauf genommen. Der materielle und wissenschaftliche Fortschritt hat zu erheblichen Veränderungen geführt und auch unser Menschenbild verändert. Praktische Ethik musste Antworten finden.
Praktische Medizinethik ist immer in Bewegung; sie wird von den wechselnden Umgebungsbedingungen dazu gezwungen. Wir versuchen moralische Antworten auf aktuelle medizinische Fragen zu finden. Im Gegensatz zur theoretischen Moralphilosophie suchen wir nicht nach prinzipiellen, allgemeingültigen Grundsätzen. Unser Anliegen ist, am konkreten Patienten zu moralisch verantwortbaren medizinischen Lösungen zu kommen. Einige wichtige Aufgaben sind: (a) Wir wollen den moralischen Stress (moral distress) der beteiligten Mitarbeiter reduzieren, der zu Frustration und Unzufriedenheit bei der Arbeit führt und Fehler am Patienten fördert; (b) wir suchen mit dem Patienten (und den Angehörigen) nach dem jeweils Besten für ihn und begleiten bei der Willensbildung im Sinn einer selbstbestimmungs-fördernden Behandlung; (c) dabei gibt es in den Gesundheits-Institutionen immer wieder Hindernisse, die angesprochen und verändert werden müssen (Strukturethik). Gerade die Corona-Pandemie hat einige solche ungerechten Missstände offengelegt.
Dabei bedienen wir uns hauptsächlich zweier Werkzeuge: (1) Die Prinzipienethik von Beauchamp und Childress bewährt sich bei der Analyse medizinethischer Kasuistiken. Sie kann eine rationale Diskussionsgrundlage für Diskussionen bilden, bleibt aber eher im Prinzipiellen und hilft weniger in der praktischen Umsetzung; (2) die Care-Ethik von Tronto und Conradi liefert die Grundlage für die Anwendung der prinzipiellen Erkenntnisse in der alltäglichen Arbeit. Sie ist sehr patienten-nah. Man sollte Prinziplismus und Care-Ethik nicht gegeneinander ausspielen, sondern sinnvoll miteinander verbinden.
Die drei Bücher zur Praktischen Ethik im Gesundheitswesen greifen solche praktische Fragen auf. Die Anregungen dazu haben Würzburger Studenten in den Medizinethik-Seminaren gegeben, die moralische Probleme in der Medizin oft ganz unvoreingenommen auf den Punkt bringen. Andererseits sind die Themen von berufserfahrenen Ärzten und Pflegenden beeinflusst, die sich in der Palliativakademie der Juliusspitals Würzburg fortbilden. Hier wird man sehr konkret mit den moralischen Problemen des Berufsalltags konfrontiert. Antworten zusammen mit den Beteiligten zu finden ist anspruchsvoll, ist Ethikarbeit. Der erste Band und der zweite Band dienen der Begriffsbestimmung im Zusammenhang mit medizinischen Fragen. Dabei ist die Sprache bewusst so gehalten, dass jemand ohne Philosophiestudium die Texte verstehen kann. Das dritte Buch schildert am Zeitverlauf der Corona-Pandemie die auftretenden medizinethischen Probleme. In Planung ist der vierte Band mit medizinischen Kasuistiken, auf die medizinethische Antworten gesucht werden.