Beschreibung
Leben, Dichten und Denken bezeichnen die bedeutendsten Sinndimensionen, in denen sich Friedrich Hölderlin zugänglich zeigt, selbst wenn er uns zuletzt in allen drei Aspekten unzugänglich bleibt. Der hermetische Charakter seines gleichwohl organischen Dichtens und Denkens wie seiner Lebenszeugnisse lassen nur Lesarten zu: Deutungsmuster, aus Indizien und Argumenten gewoben. Das gilt schon bei ausgesprochenem Willen zur werkimmanenten Deutung: Hölderlins bewegte Bilder und Begriffe tragen ihren Sinn zwar in sich, doch kompositorisch verdunkeln sie ihre mögliche Bedeutung eher als daß sie ihn erhellen. Sie nötigen zur Ausdeutung im unmittelbaren Kontext. Und der ist seinerseits, wie die handschriftliche Lage jeweils dokumentiert, oft genug fragmentarisch, segmenthaft versprengt oder – durch Überarbeitungsschichten und mehrere Fassungen – potenziert. Noch klarer tritt der Status der Deutung dort hervor, wo eine Interpretation ausdrücklich als vermittelt mit dem perspektivischen, externen Standpunkt des Interpreten gekennzeichnet wird, zum Beispiel, wenn es sich um eine psychologisierende oder (post-)strukturalistische Interpretation handelt oder um methodische Fragen danach, wie Hölderlins Handschriftliches am besten zu edieren sei. Ausdrücklich an den externen Standpunkt des Interpreten gebundene Ansätze entsprechen dem Anliegen der Erschließung Hölderlins ebenso wie Zugänge, die sich als werkimmanent verstehen. Hier wie dort ist die reflexive Brechung, die in der Vermittlung mit unserem eigenen geschichtlich individuellen Sinnhorizont besteht, unvermeidlich. Tendentiell führen werkimmanent ausgerichtete Lesarten uns näher an Hölderlin heran und holen die anderen ihn näher zu uns. Beide Richtungen haben ihr eigenes Recht, zusammen gesehen ergänzen sie sich in idealer Weise als Pole des hermeneutischen Spannungsfeldes, in dem wir uns immer bewegen, wenn wir Hölderlin zu lesen und also etwas von ihm zu verstehen versuchen. INHALT I. Leben: U. Brauer: Friedrich Hölderlin und Isaac von Sinclair – Stationen einer Freundschaft – II. Dichten: K. Dahlke: Der „Tod des Einzelnen“ im Zeichen der Zäsur. Zu Hölderlins ,Empedokles‘ – A. Ross: Sinnlichkeit und Gefährdung. „Andenken“ als tragischer Prozeß – M. Nottscheid: Der Editor als Kunstrichter – Die Behandlung der ,spätesten Gedichte‘ Hölderlins durch die Editionsphilologie unter besonderer Berücksichtigung von Jochen Schmidts Klassiker-Edition (1992) – Angelika Schmitz: Die „heilige Stunde“ dichterischer Inspiration. Vergleich einer Meerfahrtszene aus dem „Hyperion“ mit der (Boden-)Seeszene in „Heimkunft“ – Anke Schulz: Die gebildete Natur. Skizze über Hölderlins Beziehung zur natürlichen Mitwelt und zur Technik – III. Denken: Wolfgang Wirth: Transzendentalorthodoxie? Ein Beitrag zum Verständnis von Hölderlins Fichte-Rezeption und zur Kritik der Wissenschaftslehre des jungen Fichte anhand von Hölderlins Brief an Hegel vom 26.1.1795 – Uwe Beyer: ,Sein und Zeit‘ bei Hölderlin Der Herausgeber Uwe Beyer, geb. 1965, promovierte 1990 an der Universität Hamburg mit einer Untersuchung über „Christus und Dionysos. Ihre widerstreitende Bedeutung im Denken Hölderlins und Nietzsches“. Weitere Bücher zu Hölderlin: Mythologie und Vernunft. Vier philosophische Studien zu Friedrich Hölderlin. Tübingen (Niemeyer) 1993; (Hrsg.): Neue Wege zu Hölderlin, Würzburg (K&N) 1994 (Bd. 18 der Schriftenreihe der Hölderlin-Gesellschaft). 1991 Lehrbeauftragter am Philosophischen Seminar der Universität Hamburg. Organisator von zwei Ringvorlesungen über Hölderlin an dieser Universität (WS 92/93, WS 94/95). Z. Zt. Arbeit an einer Habilitationsschrift. Von 1992 bis 1995 Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bei K&N zuletzt von ihm erschienen: Die Tragik Gottes. Ein philosophischer Kommentar der Theologie Eugen Drewermanns (1995).