Beschreibung
Die Liebe zwischen Bruder und Schwester ist ein Kernthema in der Menschheitsgeschichte, dessen Brisanz sich am Widerspruch von uralter Menschheitssehnsucht nach androgyner Einheit und gesellschaftlichem Tabu entfaltet. Mit der Inzestthematik wird ein Spannungsfeld entworfen, bei dem es um Grenzüberschreitungen zwischen Narzißmus und Androgynie hin zu einer utopischen dritten Möglichkeit geht. Im antiken Mythos wird paradigmatisch die Entwicklung von einem angenommenen „paradiesischen“ Zustand „bewußtloser“ Einheit erfaßt, gefolgt von der Trennung in Subjekt und Objekt, die Bewußtsein überhaupt erst ermöglicht, Chance aber auch Gefahr für das Ich bedeutet, bis hin zu einer erneuten Ganzheitserfahrung mit erweitertem Bewußtsein. Diese Struktur greift die Literatur auf, um den Dualismus als Grundbedingung menschlichen Daseins, um die Trennung von Bewußtsein und Körper, männlich und weiblich, Ich und Du zu problematisieren. Dies gilt vor allem für die Zeit um 1900, in der der Inzestthematik vor dem Hintergrund der Bewußtseinskrise eine Schlüsselrolle beim Entwurf neuer Subjekttheorien zugewiesen wird. Die Autorin Anja Elisabeth Schoene studierte Germanistik, Musikwissenschaft und Pädagogik in Adelaide/Südaustralien und München; 1988 Bachelor of Arts with Honours; 1996 Promotion; Arbeitsschwerpunkte: Mythologie, Richard Wagner, Beziehung Literatur/Psychoanalyse