Beschreibung
Jugend und Moderne sind aufs Engste verknüpft. Seit der “Sattelzeit” ist Jugend nicht nur Übergang von einem unvollkommenen in einen vollkommenen Erwachsenenstatus. Sie ist nun der lebensgeschichtlich genuine, sozial lizensierte Zeitraum der Entfaltung von Subjektivität, ihrer Krisen und Risiken. Die dynamische, zukunftsoffene Gesellschaft akzeptiert Jugend als einen Konflikt- bzw. Avantgardehabitus, dem Innovation und Konventionsverletzung eingeräumt werden. Bevorzugter Ort und beliebtes Medium der Selbstthematisierung und Selbstbehauptung von Jugend ist die fiktive Literatur. Die vorliegenden Studien behandeln den sich ästhetisch, literarisch und theologisch entwickelnden Kult der Jugend, die Differenz von unschuldiger Kindheit und dilemmatischer Jugend, den Wandel von Jugendkonzeptionen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Insbesondere die Differenz zwischen der ersten literarischen Jugendbewegung des Sturm und Drang zur zweiten romantischen Jugendbewegung wird erarbeitet. Die jungen Romantiker protestieren nicht mehr nur gegen Konvention an der älteren Generation. Sie halten sich kraft ihrer Selbstreflexion der Moderne für fähig, mit “absoluter Polemik” “gegen die ganze Modernität” antreten zu können. Zwar verdankt sich das Konzept Jugend der Moderne; zugleich ist es aber vom literarischen Einspruch gegen sie geprägt. Was den Zeitgenossen zunächst nur als literarisches Aufbegehren erscheint, ist von Beginn an konzipiert als grundlegende Veränderung des Lebenstils, ja als Erneuerung der Gesellschaft. Die Beiträge befassen sich mit der Problematik und den nachhaltigen Folgen der romantischen Übertragung ästhetischer Wahrnehmungen auf soziale Lebensformen. Vorgestellt wird das Konzept “Jugend” in der Romantik unter kulturanthropologischen, gender-, mentalitäts- und ideologiegeschichtlichen Gesichtspunkten. Es wird versucht, ästhetische und narratologische mit diskurstheoretischen Fragestellungen zu verbinden. INHALT: G. Oesterle: Einleitung – Introduction – H. H. Ewers: Jugend – ein romantisches Konzept? Die zweifache Bedeutung der Romantik in der Geschichte moderner Jugendentwürfe – A. von Bormann: “O liebe Jugend, sei jung.” Zur romantischen Jugendkritik – G. Neumann: Kindheit und Erinnerung. Anfangsphantasien in drei romantischen Novellen: Ludwig Tieck Der blonde Eckbert, Friedrich de la Motte Fouqué Undine, E.T.A. Hoffmann Der Magnetiseur – H. Brüggemann: Entzauberte Frühe? Jugend als Medium literarischer Selbstreferenz in Ludwig Tiecks Novelle Waldeinsamkeit – G. Neumann: Puppe und Automate. Inszenierte Kindheit in E.T.A. Hoffmanns Sozialisationsmärchen Nußknacker und Mausekönig – G. Brandstetter: Transkription in Tanz. E.T.A. Hoffmanns Märchen Nußknacker und Mausekönig und Marius Petipas Ballett-Szenario – D. Richter: Eine Reise in die Kindheit. Ein romantisches Motiv – Barbara Hahn: Erinnerungen an eine nie vorhandene Zeit. Jugend in Rahel Levin Varnhagens Briefwechsel mit Pauline Wiesel und Friedrich Gentz – H. Hudde: Märchenhafte Fausteffekte. Das Verjüngungsmotiv (und Alt versus Jung) bei Basile, Brentano, E.T.A. Hoffmann, bei den Grimms und den Perraults – R. Käser: Einbalsamierte Jugend. Bemerkungen zur narrativen Funktion medizinischer Diskurse in Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre – S. Michaud: Was bedeutet es, im Frankreich der Romantik zwanzig Jahre alt zu sein? Th. Clasen: Die Entdeckung der Jugend im Drama des Sturm und Drang – R. Steinlein: Vom weltbürgerlich aufgeklärten Kind zum vaterländisch begeisterten Jüngling. Bilder eines psychohistorischen Typus in der deutschen (Kinder- und Jugend-) Literatur (1750 – 1850) – J. Neubauer: Romantische Wandervögel – Abbildungsnachweise Der Herausgeber Günter Oesterle, geb. 1941, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Mitherausgeber des Athenäum, Jahrbuch für Romantik. Publikationen im Bereich der Nicht-mehr-schönen-Künste (des Arabesken, Grotesken, des Häßlichen, Komischen und der Karikatur), der Zusammenhänge von Kulturgeschichte und Poetik, von Literatur und bildenden Künsten, der deutsch-französischen Kulturbeziehungen.