Beschreibung
In der Beiträgen des Sammelbandes analysieren namhafte Literaturwissenschaftler und ein Soziologe an repräsentativen theoretischen und literarischen Texten die Valenzen der Liebessemantik von Goethe bis Georg Büchner und belegen die Vielseitigkeit der Perspektiven. Als kritischer Ausgangspunkt für die Diskussion diente, wie schon der Titel andeutet, Niklas Luhmanns anregende Studie Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität (1982). Seit Paul Kluckhohns immer noch umfassendster Darstellung Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik (1922) haben überraschenderweise vor allem Soziologen das für die Kunstperiode so zentrale Thema begrifflich differenziert und in neue Zusammenhänge gestellt. Die Beiträge des Sammelbandes sind zum größten Teil aus einem Symposium hervorgegangen, das die Stiftung für Romantikforschung in München veranstaltet hat. Sie belegen in ihren verschiedenen Ansätzen immer wieder auch die codekritische Funktion literarischer Texte, die oft von den sanktionierten Normen abweichen, ein Aspekt, der in der Untersuchung von Niklas Luhmann zu kurz gekommen ist. Wenn er beispielsweise den romantischen Liebescode als ein Bekenntnis “zur Einheit von Liebesehe und ehelicher Liebe als Prinzip der natürlichen Vervollkommnung des Menschen” versteht, so läßt sich in vielen Texten von Ludwig Tieck bis E.T.A. Hoffmann gerade das Gegenteil beobachten. Die verschiedenen Beiträge veranschaulichen, wie sich im deutschen Kontext seit der Empfindsamkeit die Codierungen von Liebe von den übergeordneten Konzepten von Vernunft und Freundschaft zu lösen und zu verabsolutieren beginnt. Im Gegensatz zur französischen weist außerdem die deutsche Liebessemantik bereits im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts eine Tendenz zur Spiritualisierung, Idealisierung und Moralisierung auf, wobei Sexualität entweder abgewertet oder sublimiert und ausgegrenzt wird. Nicht von ungefähr wird im 18. Jahrhundert noch von der Empfindsamkeit bis zur Romantik Liebe entweder der Vernunft unterstellt oder mit Seelenfreundschaft konnotiert. Ist die Einheit des Codes zunächst ein Ideal, führt er schließlich zu Paradoxierungen und zur Kommunikation von Differenz. Die in diesem Sammelband vereinigten Beiträge ergänzen sich in ihren verschiedenen Blickwinkeln und stellen neue Einsichten vor, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die codebildende und codekritische Funktion von Literatur. INHALT: W. Hinderer: Zur Liebesauffassung der Kunstperiode. Einleitung (Synopsis der Beiträge auf Englisch) – P. Fuchs: Die kleinen Verschiebungen. Zur romantischen Codierung von Intimität – D. Borchmeyer: Schwankung des Herzens und der Liebe im Triangel Goethe und die Esoterik der Empfindsamkeit – U. Landfester: “Sie und kein anderer war Romeo”: Anmaßung und Freiheit der Frau in Männerkleidung in der Literatur der Kunstperiode – E. Michel/W. Michel: Der “Zusammenstimmende Plu-ralis” und die “unbegreiflichen gleichzeitigen Empfindungen”. Zur Symphilosophie der Liebe bei Friedrich Schlegel und Novalis – W. Rath: Die vergessene Liebe bei Tieck: Zur frühromantischen Anthropognostik zum Beispiel der “Liebesgeschichte der schönen Magelone” – G: Neumann: Die Sprache der Liebe im Werk Heinrich von Kleists – E. Lämmert: Dissonanzen und Harmonien. Konfigurationen der Liebe in den Texten Clemens Brentanos – A. v. Bormann: Das dämonische Weib. Liebesverrat und unerlöste Kraft bei Fouqué, Brentano und Eichendorff – U. Ricklefs: Sprachen der Liebe bei Achim von Arnim – H. Steinecke: Die Liebe des Künstlers. Männer-Phantasien und Frauen-Bilder bei E.T. A. Hoffmann – W. Hinderer: Liebessemantik als Provokation. Der Herausgeber Walter Hinderer, geb. 1934 in Ulm, studierte Germanistik, Philosophie, Anglistik und Geschichte in Tübingen und München. Professor für Neuere deutsche Literatur an der Princeton University, USA. Zahlreiche Publikationen zur deutschen Literatur des 18., 19. und 20. Jahrhunderts, über Literaturtheorie, Ästhetik, Literaturkritik, Drama, Lyrik, Mentalgeschichte, Rede und Rhetorik; Politik und Literatur. Bei K & N: Arbeit an der Gegenwart. Zur deutschen Literatur nach 1945.