Beschreibung
Viele Dichter – so auch die österreichischen – haben seit jeher ein Gespür für das Walten des Unbewußten im Leben des Menschen. Lange vor der Medizin und der Psychologie haben sie Erkenntnisse charakterologischer und psychodynamischer Art in Dramen, Komödien, Romanen und Erzählungen vorweggenommen. Gezeigt werden kann dies etwa an Johann Nepomuk Nestroy. Dieser “österreichische Molière” war ein feiner Kenner der seelischen Tiefenschichten. Was er witzig und geistreich in seinen Komödien ausbreitet, ist ein getreues Abbild nicht nur der Psyche des Österreichers, sondern der Menschenpsyche überhaupt. – Ebner-Eschenbach hat ergreifende soziale Novellen und Romane publiziert. Diese antizipieren in ihrer Betonung des Gemeinschaftsgedankens eher Alfred Adler als Freud. Aber auch bei ihr ist eine subtile Psychologie unverkennbar. – Noch deutlicher ist die Beziehung zur Psychoanalyse bei Arthur Schnitzler. Er galt nicht zu unrecht als “Freuds Zwillingsbruder in Wien”. Das wurde vom Meister der Tiefenpsychologie selbst anerkannt. Die Betonung der Sexualität, des psychologischen Determinismus, der unbewußten Reaktionen und eine eher düstere Weltschau vereinigen den Psychoanalytiker und den Schriftsteller, der übrigens auch Arzt war. Bei Stefan Zweig, Musil, Kafka, Kraus und Rilke sind ebenfalls Bezüge zwischen Dichtung und Psychologie leicht herzustellen. Alle diese Dichter gerieten in den Bannkreis der neuen Seelenkunde. Wenn sie Menschen und menschliche Schicksale darstellten, konnten sie nicht absehen von den Einsichten der ärztlichen Seelenwissenschaft, die in ihrer unmittelbaren Nähe entstand und wirksam wurde. Auch Horváth und Canetti sind nicht unbeeinflußt von Freud und seinen Schülern. Der letztere hat immer wieder betont, daß sein kulturphilosophisches Hauptwerk Masse und Macht (1960) in einer Gegenposition zu Freuds Massenpsychologie entstand. Aber auch sonst ist bei Canetti die Auseinandersetzung mit den psychoanalytischen Positionen überall deutlich. Dieses Buch über die österreichische Literatur stellt neuerlich unter Beweis, daß die behandelten Dichter und Autoren über eine Psychologie verfügten, die über weite Strecken an seelisch-geistigem Gehalt die trockene Fachwissenschaft merklich hinter sich zurückläßt. Die Autoren Alle vier Autoren – Irmgard Fuchs, Dr.phil., Diplompsychologin und Psychotherapeutin; Josef Rattner, Dr.med. et phil., Professor, Arzt und Psychotherapeut; Alfred Lévy, Dr.med., Dermatologe und Psychotherapeut; Gerhard Danzer, Dr.med. et phil., Privatdozent, Internist und Diplompsychologe – arbeiten schon viele Jahre im Berliner Arbeitskreis für Tiefenpsychologie, Gruppendynamik und Gruppentherapie und haben bereits ausführlich zu Themen der Literaturpsychologie, der Psychohygiene, der Tiefenpsychologie, der Psychosomatik und der Kulturanalyse publiziert.