Johanna Bossinade

Moderne Textpoetik. Entfaltung eines Verfahrens

Mit dem Beispiel Peter Handke

Erscheinungsdatum: 01.01.1999, 256 Seiten ISBN: 978-3-8260-1663-9
Fachgebiet:
Autor*innen:Johanna Bossinade

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Beschreibung

,Poetik’ ist ein hochbedeutsamer literaturtheoretischer Begriff. Er zeigt an, nach welchen Kriterien ein Text erwartungsgemäß gestaltet ist, damit er der Dichtkunst, oder, modern gesprochen der Literatur, zugerechnet werden kann. Als Paradigma der poetologischen Kriterien hat von der Antike bis in die Neuzeit die ,Nachahmung’ fungiert. Die Dichtkunst sollte dadurch ausgezeichnet sein, daß sie menschliche Handlungsweisen, die Natur oder sakrale Werte in schöpferischer Weise nachgestaltet. Der entscheidende Paradigmenwechsel vollzog sich im 18. Jahrhundert. Unter dem Einfluß von bürgerlicher Aufklärung und Geniebewegung verschob sich der Akzent von der Reproduktions- zu einer Produktionsästhetik. Statt Wirklichkeit nachzubilden, sollte Literatur fortan imstande sein, eine eigene, sozusagen zweite Wirklichkeit hervorzubringen. An diesen historischen Wendepunkt knüpft die vorliegende Studie an, wobei sie sich im besonderen auf die zentrale Bedeutung der Sprachtheorie im 20.Jahrhundert stützt. Moderne Literatur, so lautet ihr Hauptgesichtspunkt, aktiviert und exportiert die Sprache, so wie diese sich im geschriebenen Text manifestiert, als eine offene dynamische Struktur nämlich, welche die Prozesse der Form- und Sinnbildung für die Lesenden gegenwärtig hält. ,Textpoetik’ ist hiernach der Name für das Verfahren, mit dessen Hilfe Literatur – neben ihren ich- und weltbezogenen Themen – ihre sprachästhetischen Potenzen zur Entfaltung bringt. Die methodische Nachkonstruktion dieses Verfahrens geschieht unter einer zweifachen Zielsetzung. Zum einen werden bündige Resümées aus den Debatten seit den späten 60er Jahren um Zeichen-, Text- und Literaturtheorie sowie, spezifischer, dem Streit um die Geschlechterdifferenz gezogen. Zum andern legt die Verfasserin eigene Synthesen vor, die sie aus mehreren theoretischen Vermittlungsschritten gewinnt. Der Begriff des Zeichens z.B. wird weder verworfen noch unkritisch weitergeführt, er wird vielmehr dynamisiert und mit der Möglichkeit von Transformation und sprachlichem Wandel verknüpft. Der Begriff des Geschlechts fernerhin wird in der kritischen Auseinandersetzung mit neueren psychoanalytischen Theoremen einer konsequent sprachstrukturellen Lesart zugeführt, will sagen: aus traditionellen Oppositionen herausgelöst. Der Entstellungsbegriff der Freudschen Traumtheorie leistet bei alledem wertvolle heuristische Dienste. Das Ganze läuft auf den Schluß hinaus, daß sich Werke der modernen Literatur einer poietischen Dynamik bedienen können, die in ihre allgemeinere thematische Gestaltung mit einfließt, darin gewissermaßen eine eigene Ebene besetzt. Dieser Punkt einer doppelten thematischen Strukturierung markiert eine zentrale Einsicht der Untersuchung. Er wird ausdrücklich gegen verabsolutierende Auffassungen von Literatur als einer sei es überwiegend selbstreferentiellen, sei es primär kontextbezogenen Struktur hervorgehoben. Moderne Literatur, so lautet die hier propagierte Sicht, handelt in kunstvoller Engführung von zwei Dingen zugleich. Sie spricht so beharrlich wie vernehmlich von den Problemen der subjektiven und sozialen Welterfahrung auf der einen und dem Prozeß ihrer eigenen sprachzeichenhaften Entfaltung auf der anderen Seite. Die Studie bleibt indes bei Theorie und analytischer Aufarbeitung nicht stehen. Sie erprobt ihre Befunde an einem literarischen Beispiel, das ihr die neuere Prosa Peter Handkes und speziell die Erzählung “Der Chinese des Schmerzes” (1983) liefert. Es wird gezeigt, daß die von Handke entwickelte Poetik des Textes in enger Verbindung zum idealtypischen Modell der Textpoetik gelesen werden kann. Handkes poetologische Motive einer “Bruchstelle im Gestein” oder einer Landschaft von “Schwellen” setzen eine dynamische Struktur ins Bild, die, über die bildliche Fassung hinaus, in der Praxis des Textes realisiert zu sein scheint. Allerdings wird diese textliche Realisierung nur bis zu einem gewissen Punkt geführt, woraus folgt, daß das Werk hinter dem ihm eingeschriebenen poetologischen Anspruch ein Stück weit auch zurückbleibt, die geschlechtsspezifischen Muster der Erzählung einbegriffen. Für Handkes Arbeit wird so am Leitfaden der Textpoetik eine kritische Optik ausgezogen, die den sonst oft apologetisch oder einseitig polemisch gefärbten Umgang mit diesem Autor zu überwinden hilft. Die Autorin Johanna Bossinade studierte Germanistik, Spanisch, Allgemeine Literaturwissenschaft sowie Theaterwissenschaft in Utrecht und Köln und lehrt heute neuere deutsche Literatur an der Freien Universität in Berlin. Buchpublikationen zu Ödön von Horváth und über das “Beispiel Antigone”. Neben zahlreichen Buchrezensionen wissenschaftliche Veröffentlichungen über verschiedene Autorinnen und Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts, über Fragen der Moderne, Ästhetik, Poetik und Semiotik, zur Exil- und Faschismusproblematik, zum Thema der Geschlechterdifferenz.

Zusätzliche Information

Gewicht0,399 kg
Größe15.5 × 23.5 cm (B × H)
Seiten256
Erscheinungsdatum01.01.1999
ISBN978-3-8260-1663-9   //   9783826016639
EinbandartKartoniert
SpracheDeutsch
VerlagKönigshausen & Neumann
Verlags-Code05/5108091

Autor*innen

Bossinade, Johanna

Johanna Bossinade ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur a.D. und war bis 2019 als Psychoanalytikerin tätig. Sie forscht zur Psychoanalyse und zur Literatur unter dem spezifischen Aspekt der Sprachwirkung. Ihre Publikationen betreffen beide Gebiete. Der Fokus liegt derzeit auf Fragen der Medialität. Bei K&N erschien von ihr Theorie der Sublimation. Ein Schlüssel zur Psychoanalyse und zum Werk Franz Kafkas (2007) sowie Die Stimme des Anderen. Zur Theorie der Alterität (2011).