Beschreibung
“Interkulturalität”, “interkulturelles Verstehen” und “interkulturelle Verständigung” sind gegenwärtig vielgebrauchte und deshalb nicht selten vieldeutige Schlagworte. Zudem gibt es bereits heute schon eine ganze Anzahl “interkultureller” Disziplinen und Konzeptionen – mit zunehmend steigender Tendenz. Diese neuen Richtungen scheinen trotz aller Unterschiede eines gemeinsam zu haben: sie reagieren auf eine weltweite Problemsituation, die u.a. durch kulturellen Pluralismus und durch (eine nicht zuletzt ökonomische) “Globalisierung” charakterisiert ist. Gerade in dieser internationalen Lage ist die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des Verstehens unterschiedlicher Kulturen von ebenso elementarer wie aktueller Bedeutung – das gilt auch für die Philosophie und für die Kulturwissenschaften. In der vorliegenden Untersuchung geht es darum, aus philosophischer Perspektive, d.h. als grundlagentheoretische Reflexion, eine erkenntnistheoretisch fundierte Antwort auf die Frage zu finden, ob und in welcher Weise es möglich sein kann, eine andere, fremde Kultur in ihrer Eigenheit zu verstehen. Thematisch ist die mögliche Geltung des Kulturverstehens: Ist bzw. wie ist solches Verstehen, das immer in einen bestimmten “eigenkulturellen” Kontext eingebunden ist und das zugleich diesen “eigenkulturellen” Kontext überschreiten muß, wenn es das Verstehen einer anderen Kultur sein soll, möglich? Lassen sich, und wenn ja, wie, lassen sich Aussagen legitimieren, die den Anspruch erheben, etwas in gültiger (= richtiger, angemessener, adäquater) Weise über eine andere Kultur mitzuteilen? Genau zur Klärung dieser epistemologischen Hauptfragen versucht die vorliegende Arbeit einen Beitrag zu leisten. Im kritischen Hauptteil wird zunächst untersucht, wie unterschiedliche Konzeptionen Verstehen bzw. Kulturverstehen bestimmen und was sie zur Lösung der Hauptproblematik beitragen können. Dargestellt und diskutiert werden vor allem die lebensphilosophische Position Diltheys und der philosophisch-hermeneutische Ansatz Gadamers, die Interkulturelle Germanistik sowie die Interkulturelle Philosophie, die phänomenologische Position von Schütz, der kultursemiotische Ansatz von Geertz, die Inkommsensurabilitätsthese Winchs, der neopragmatische Kontextualismus Rortys sowie Habermas’ sprachpragmatischer Universalismus, die Davidsonsche These von der radikalen Interpretation, Derridas neostruktrualistische Kritik an der Zeichenidentität und schließlich der Interpretationismus Lenks und Abels. Der daran anschließende systematische Hauptteil ist dem Versuch gewidmet, Grundzüge einer epistemologischen Theorie des Kulturverstehens zu entwickeln. Diskutiert wird nicht nur die Frage, worin die Grundmomente der Kulturalität bzw. die grundlegenden Charakteristiken der (menschlichen) Kultur überhaupt bestehen können. Es wird darüber hinaus auch versucht, einen theoretischen Ansatz zu skizzieren, der die Kultur als Pluralität solcher Medien bestimmt, in denen sich unterschiedliche menschliche Selbst-, Fremd- und Welterfahrungen vollziehen. Dabei wird gefragt, wie sich die Medialität der Kultur semiotisch begründen läßt, welche kulturellen Medien es gibt und welche Eigenschaften sie aufweisen (müssen) – schließlich, inwiefern die Sprache als ein universales kulturelles Medium bezeichnet werden kann und welche Probleme mit der Fremdsprachlichkeit bzw. mit dem der Übersetzung für das Kulturverstehen aufgeworfen sind. Bei dem dann zur Untersuchung stehenden epistemologischen Begriff des (inter)kulturellen Verstehens wird u.a. analysiert, welche Momente das Verstehen der Kultur (wie jedes Verstehen) als Sinnverstehen in geltungstheoretischer Hinsicht definieren und wie ein Kulturvergleich möglich sein kann. Dazu ist es auch nötig, die Funktion der Logik genauer zu fixieren und Stellung zu der Frage zu nehmen, inwiefern die Logik für (Kultur)Verstehen fundamental ist. Schließlich wird erörtert, was methodisches Kulturverstehen heißen kann und welche Konsequenzen sich aus der Pluralität kultureller Methoden für eine mögliche kontexttranszendente Verbindlichkeit nicht nur des Kulturverstehens insgesamt, sondern auch für die einzelnen Kulturwissenschaften ergeben. Der Autor Thomas Göller ist Privatdozent und wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe. Er führt dort ein interkulturelles Projekt zur Menschenrechtsphilosophie durch (seit 1996 zusammen mit einem Kollegen). Von 1991 bis 1996 war er Associate Professor und DAAD-Lektor an der Gakushuin-Universität/Tokyo (Japan); von 1987 bis 1991 Lehrbeauftragter für Philosophie an der Universität Karlsruhe und Rundfunkjournalist für Kultur und Wissenschaft. Studium der Philosophie, Deutschen Literatur- und Sprachwissenschaft in Heidelberg und Würzburg; Promotion (1986) und Habilitation (1998) im Fach Philosophie. Veröffentlichungen zur Kultur-, Sprach-, Menschenrechtsphilosophie sowie zur Ästhetik, zur Wissenschaftstheorie und Methodologie der Literatur- und Kulturwissenschaften. Bei Königshausen & Neumann liegt bereits vor: Ernst Cassirers kritische Sprachphilosophie (1986).