Beschreibung
Moral scheint ein Spezifikum der menschlichen Lebensform zu sein. Welche Gründe lassen sich für diesen Umstand benennen und welche Konsequenzen hat ein angemessenes Verständnis für Fragen der Moralbegründung und der moralischen Motivation? Der Band Anthropologie und Moral führt Antworten auf diese Fragen aus Philosophie und Soziologie zusammen. Dabei wird durch wechselseitige Kommentare ein Dialog zwischen den beiden Disziplinen eröffnet, der innerdisziplinäre Selbstverständlichkeiten in Frage stellt. Die Konfrontation unterschiedlicher methodischer Ansätze innerhalb der Philosophie (Phänomenologie, Analytische Philosophie) wie der Soziologie (Sozialtheorie, Genetischer Strukturalismus, Empirische Sozialisationsforschung) vermittelt einen differenzierten Überblick über die gegenwärtigen theoretischen Perspektiven auf das Rahmenthema des Bandes. Die insgesamt 18 Beiträge des Bandes gliedern sich zu sechs thematischen Teilen. In den drei ersten Teilen wird die Frage nach dem Stellenwert der Moral für die menschliche Daseinsweise im Rahmen unterschiedlicher soziologischer und philosophischer Theorietypen gestellt. Im ersten und zweiten Teil werden theoretische Ansätze erörtert, die Moral auf Dimensionen zwischenmenschlicher Interaktion in konstitutionstheoretischer und empirisch-genetischer Perspektive zurückführen. In den Beiträgen des dritten Teils werden weitere, intrasubjektive und evolutionäre anthropologische Bedingungen von Moral erörtert. In der zweiten Hälfte des Bandes werden Probleme diskutiert, die sich innerhalb derart entwickelter Moralkonzeptionen stellen. Im vierten Teil wird die Frage verhandelt, ob moralische Normen auf spezifische Formen der Motivation ihrer Träger angewiesen sind. Dabei werden philosophische Konzepte mit empirischen Forschungserträgen konfrontiert. Der fünfte Teil des Bandes wendet sich der Frage zu, ob die Begründung moralischer Normen bestimmte menschliche Eigenschaften in Anspruch nehmen muß. In diesem Zusammenhang werden eine rechtstheoretisch fundierte und eine utilitaristische Position auf ihre jeweiligen anthropologischen Annahmen hin untersucht. Der Band schließt mit Überlegungen zum Stellenwert einer der zentralen Positionen der kontinentalen philosophischen Anthropologie, dem Existenzialismus. Eine soziologische Relativierung seiner universellen Ansprüche wird hier mit einer Verteidigung des anthropologischen Charakters und der moraltheoretischen Relevanz der Spätphilosophie Sartres konfrontiert. In den jeweiligen Einleitungen der Herausgeber wird der gesamte Themenbogen des Bandes im Kontext der philosophischen sowie soziologischen Debatten verortet. Inhalt Martin Endreß: Anthropologie und Moral: Soziologische Perspektiven – Neil Roughley: Anthropologie und Moral: Philosophische Perspektiven I. Moral als sozial konstituiert: Thomas Luckmann: Die intersubjektive Konstitution der Moral – Gottfried Seebaß: Kommentar zu Thomas Luckmann – Tilmann Sutter: Jenseits des Normativismus: Zur Strategie einer soziologischen Konstitutionstheorie der Moral II. Moral als sozial generiert: Ulrich Wenzel: Geschuldete Moral. Moraltheorie zwischen Genesis, Einsichtsfähigkeit und Überwältigung – Martin Endreß: Kommentar zu Ulrich Wenzel – Sighard Neckel: Das Heilige, das Leiden und der Konflikt. Drei sozialtheoretische Modelle der Genese von Moralsystemen III. Moral als anthropologische Kategorie: Hans Krämer: Philosophische Anthropologie, Hemmungskategorie, Moralerklärung – Neil Roughley: Kommentar zu Hans Krämer – C.R. Hallpike: Moralphilosophie und die historische Entwicklung des moralischen Verstehens IV. Moralische Motivation: Gertrud Nunner-Winkler: Formen moralischer Motivation – Anna Kusser: Kommentar zu Gertrud Nunner-Winkler – Sabine Döring: Scanlons Theorie moralischer Motivation V. Anthropologische Moralbegründung: Georg Lohmann: Über die anthropologischen Voraussetzungen moralischer Rechte – Volker Schmidt: Kommentar zu Georg Lohmann – Peter Schaber: Universelle Werte und menschliches Wohlergehen VI. Existenzphilosophische Anthropologie: Joachim Renn: Sozialexistenzialismus – Moderne Identität als sozial konstituierte Existenzialität – Holmer Steinfath: Kommentar zu Joachim Renn – Helmuth Fahrenbach: Existenzphilosophische Anthropologie und Ethik. Sartres Wendung zu einer dialektischen Anthropologie der Praxis Die Herausgeber Martin Endreß ist Geschäftsführer des Sozialwissenschaftlichen Archivs an der Universität Konstanz. Seine Hauptarbeitsgebiete sind Soziologische Theorie, Wissenssoziologie, Politische Soziologie, Sozial- und Politische Philosophie. Er ist Herausgeber von Zur Grundlegung einer integrativen Ethik (1995) und Mithrsg. (mit Ilja Srubar) von Karl Mannheim und die Analyse moderner Gesellschaften (1999). Zur Zeit arbeitet er an einer Monographie zur Perspektive des Sozialkonstruktivismus. Neil Roughley ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Philosophie der Universität Konstanz. Seine Hauptarbeitsgebiete sind Handlungstheorie, philosophische Anthropologie, Moralphilosophie und Ästhetik. Er ist Mitherausgeber (mit A. Barkhaus et al.) von Identität, Leiblichkeit, Normativität. Neue Horizonte des anthropologischen Denkens (1996) und Herausgeber von Being Humans. Anthropological Universality and Particularity in Transdisciplinary Perspectives (voraussichtlich 1999). Zur Zeit arbeitet er an einer Monographie zu den Pro-Einstellungen.