Dirk Göttsche

Zeitreflexion und Zeitkritik im Werk Wilhelm Raabes

Erscheinungsdatum: 01.01.2000, 184 Seiten ISBN: 978-3-8260-1859-6
Fachgebiet:
Autor*innen:Dirk Göttsche

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Beschreibung

Wie kein anderer Autor in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich Wilhelm Raabe in seinem Erzählwerk mit Zeit und Zeitgeschichte auseinandergesetzt. Vor dem Hintergrund des radikalen Wandels der Lebenswelt im Zeichen von Industrialisierung und Urbanisierung sowie der damit einhergehenden Beschleunigungserfahrungen reflektieren seine Romane und Erzählungen die Zeitlichkeit personaler Identität und die Geschichtlichkeit des sozialen Lebens im Prozeß sprunghafter Modernisierung, sie erkunden die Anthropologie des Zeitbewußtseins und insbesondere die Zusammenhänge zwischen Zeit, Erinnerung und Gedächtnis, problematisieren den Umgang mit Zeit angesichts der fortschreitenden Rationalisierung der Zeit im bürgerlichen Alltag, thematisieren die politische und soziale Zeitgeschichte zwischen Vormärz und Jahrhundertwende und kritisieren das Zeit- und Geschichtsbewußtsein der Epoche. Dieses geschärfte Zeitbewußtsein, in dem allgemeine Zeitreflexion und Zeitkritik sich wechselseitig ergänzen, bringt zugleich innovative Erzählverfahren, komplexe narrative Zeitstrukturen und eine elaborierte Erinnerungspoetik hervor. Raabes Werke von der Chronik der Sperlingsgasse (1856) bis zu Altershausen (1902) lassen sich damit als prägnante Reflexionsmodelle des Zeitbewußtseins lesen, die ihren Autor auf eigenen Wegen vom literarischen Nachmärz bis an die Schwelle zur Moderne führen. Die Verflechtung von Zeitreflexion und Zeitkritik erlaubt Raabe genau jene “Darstellung der zeitgenössischen alltäglichen gesellschaftlichen Wirklichkeit auf dem Grunde der ständigen geschichtlichen Bewegung”, die Erich Auerbach der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts im Gegensatz zum europäischen Realismus abgesprochen hat. Die vorliegende Untersuchung versteht Raabes Verfahren der Zeitreflexion und Zeitkritik in diesem Sinne zugleich als eigenständige Gegenentwürfe sowohl gegen den großen Gesellschaftsroman als auch gegen die ideologische Funktionalisierung des Individualromans im programmatischen Realismus. Sein Erzählwerk stellt sich als ein fortlaufender literarischer Arbeitsprozeß dar, der von der kontrapunktischen Zeitreflexion der Chronik der Sperlingsgasse über die Annäherung an den realistischen Zeitroman in Abu Telfan bis zum Braunschweiger Spätwerk führt, in welchem beständig weiterentwickelte Reflexionsmodelle moderner Zeiterfahrung neben der differenzierten bewußtseinskritischen Geschichtsschreibung des bürgerlichen Alltags stehen. In seinen Chronisten-Romanen entwirft Raabe hier eine komplexe Poetik der Erinnerung, in der die intensive Auseinandersetzung mit der “Gesellschaft im Aufbruch” (Siemann) mit der kritischen Selbstreflexion bürgerlicher Identität verschränkt ist. In einer zweiten Linie seines Spätwerks verbindet sich die kritische Darstellung der Modernisierungsprozesse und des Mentalitätswandels im Deutschen Reich mit dem Entwurf einer konkreten Utopie sozialer Moralität, die als ‚Zeit für den anderen’ immer auch eine zeitmoralische Dimension besitzt. Abschließend wird das Zeit- und Gedächtnislaboratorium in Raabes Experimentalroman Altershausen im Hinblick auf seine fragliche Modernität analysiert. Damit liegt erstmals eine umfassende Untersuchung der Zeitreflexion in Raabes Gesamtwerk und der Stellung des Autors in der Geschichte des Zeitromans vor. INHALT 1. Einleitung; 2. Kontrapunktische Zeitreflexion in Die Chronik der Sperlingsgasse; 3. Zeitkritik und Sozialität in Abu Telfan; 3.1. Zeitkritik im Zeichen des Kritischen Exotismus; 3.2. Individualgeschichte und Sozialität im realistischen Zeitroman; 4. Die Geschichtlichkeit des sozialen Lebens: Reflexionsmodelle moderner Zeiterfahrung in den Braunschweiger Romanen; 4.1. Modernisierung und Zeitbewußtsein; 4.2. Anthropologie des Zeitbewußtseins und Geschichtsschreibung des sozialen Lebens in Alte Nester; 4.3. Urbanisierung, soziale Mobilität und bürgerliche Identität in Die Akten des Vogelsangs; 4.4. Industrialisierung, Strukturwandel und Zeitreflexion in Pfisters Mühle; 5. Bewußtseinskritische Geschichtsschreibung des bürgerlichen Alltags in den Braunschweiger Romanen; 5.1. Geschichten aus der Zeitgeschichte: Der Dräumling und Gutmanns Reisen; 5.2. Die Kehrseiten des Fortschritts in Unruhige Gäste und Im alten Eisen; 5.3. “Weltgeschichte” und “Alltagsleben” in den kleinen Zeitromanen Deutscher Adel, Villa Schönow und Kloster Lugau; 5.4. Dialektische Kritik bürgerlichen Bewußtseins in Stopfkuchen; 6. Zeit und Identität in Raabes Experimentalroman Altershausen Der Autor Dirk Göttsche ist Privatdozent für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft am Institut für Deutsche Philologie II der Universität Münster; Veröffentlichungen: Die Produktivität der Sprachkrise in der modernen Prosa (1987); Zeit im Roman. Literarische Zeitreflexion und die Geschichte des Zeitromans im späten 18. und im 19. Jahrhundert (erscheint 2000); Mitherausgeber der kritischen Edition von Ingeborg Bachmanns Todesarten-Projekt (1995) und mehrerer Aufsatzbände zu der Autorin; zahlreiche Aufsätze zur Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts.

Zusätzliche Information

Gewicht0,36 kg
Größe15.5 × 23.5 cm (B × H)
Seiten184
Erscheinungsdatum01.01.2000
ISBN978-3-8260-1859-6   //   9783826018596
EinbandartKartoniert
SpracheDeutsch
VerlagKönigshausen & Neumann
Verlags-Code05/5108091

Autor*innen

Göttsche, Dirk