Heide Rohse

Unsichtbare Tränen

Effi Briest - Oblomow - Anton Reiser - Passion Christi. Psychoanalytische Literaturinterpretationen zu Theodor Fontane, Iwan A. Gontscharow, Karl Philipp Moritz und zum Neuen Testament

Erscheinungsdatum: 01.01.2000, 114 Seiten ISBN: 978-3-8260-1879-4
Fachgebiet:
Autor*innen:Heide Rohse

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Beschreibung

Warum zusätzlich zu den etablierten hermeneutischen Wissenschaften – wie z. B. Theologie und Literaturwissenschaft – noch eine psychoanalytische Interpretation literarischer Texte und Überlieferungen? Wozu psychoanalytische Literaturinterpretation, wo doch offensichtlich zu sein scheint, daß die Psychoanalyse einfache vorgegebene patterns (z.B. den Oedipuskomplex) am literarischen Beispiel immer schon zu bestätigen scheint, ohne dabei den Kunstcharakter und geistigen Gehalt literarischer Werke zu würdigen? Die vorliegende Arbeit Unsichtbare Tränen versucht, literaturwissenschaftliche und psychoanalytische Hermeneutik aufeinander zu beziehen – im Dienste eines beide integrierenden Verstehens, das sich wechselseitig befruchtet. Ausgehend von literarischen Strukturen (z.B. den Erzählformen des Figuren-, Gesellschafts- und Entwicklungsromans), kann sich die genuin psychoanalytische Perspektive im Rahmen des sprachlich-künstlerischen Charakters des jeweiligen Textes entfalten. Dabei wird der bewußte Umgang mit dem Widerhall der Texte im Interpreten – also Gegenübertragung als Erkenntnisansatz – zum spezifisch psychoanalytischen Beitrag der Textinterpretation. In Fontanes Roman Effi Briest erscheint die Textfigur Effi als ein in sich heiler Mensch, ein Naturkind, glücksfähig und beglückend. Zerstörung ihrer Existenz und Krankheit werden nicht als Folgen psychischer Konflikte, sondern aus der Konzeption des Gesellschaftsromans heraus als Folge sozialer Ächtung durch die Gesellschaft verstanden, die sich in dieser Gestalt gleichwohl ein Bild idealer Weiblichkeit schafft. Im Gegensatz dazu stellt Iwan A. Gontscharow in Oblomow eine Textfigur dar, die aus der Struktur des Figurenromans, auch in der Darstellung von Außenwelt, um ihre inneren Konflikte zentriert ist. Oblomows Lebensthema – das Verlöschen des Lebens von Anfang an – zeigt ihn als einen Bruchstück-Menschen, der eindringlich die Bruchstückhaftigkeit des Lebens überhaupt verkörpert. In Anton Reiser ist die Textfigur Anton Objekt psychologischer Erforschung des Autors Moritz. Diese Erzählhaltung wird als Ich-Spaltung verstanden, die die intendierte Selbsterkenntnis unmöglich macht. Paradoxerweise stellt so einer der ersten Bildungs- und Entwicklungsromane einen Menschen dar, der ohne Entwicklung, gefesselt im Wiederholungszwang der Selbstreparation ruhelos in sich selber kreist. Die Passions- und Ostergeschichten werden als Niederschlag eines Verarbeitungsprozesses verstanden, den der traumatische Tod Jesu bei den ihm Nahestehenden ausgelöst hat. Die Erzählintention der Evangelisten zielt auf die Gewißheit, daß Gott als das gute Objekt angesichts des Todes nicht zerstört wird, sondern daß selbst im Trauma des Todes Gott die eine Wirklichkeit bleibt, die Leben und Tod umfaßt. In allen vier Interpretationen geht es um “unsichtbare Tränen”. In Effi Briest spürt der Leser sie im Schmerz Effis, von der Gesellschaft ausgestoßen zu werden; in Oblomow werden sie fühlbar im Leiden an der seelischen Lebenslähmung des Romanhelden; in Anton Reiser sind es die unsichtbaren Tränen des Lesers über das erniedrigte Kind; in den Passions- und Ostergeschichten schließlich erscheinen sie – metaphorisch gesprochen – als die Tränen Gottes, die er in Leidenden und Sterbenden um sich selber weint. Die Autorin Heide Rohse, geb. 1939 in Kassel. Studium der Erziehungswissenschaften. Tätigkeit als Lehrerin mit den Fächern Relgion und Deutsch. Wiss. Assistentin an der Universität Göttingen im Fach Ev. Theologie und Religionspädagogik; Lehrauftrag in Religionspsychologie. Ausbildung zur psychoanalytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin am Psychoanalytischen Institut Göttingen. Tätigkeit als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche in freier Praxis. Dozentin und Kontrollanalytikerin am Lou-Andreas-Salomé-Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie, Göttingen. Veröffentlichungen zur Erziehungswissenschaft, Religionspädagogik, Psychoanalyse und Literaturpsychologie.

Zusätzliche Information

Gewicht0,212 kg
Größe15.5 × 23.5 cm (B × H)
Seiten114
Erscheinungsdatum01.01.2000
ISBN978-3-8260-1879-4   //   9783826018794
EinbandartKartoniert
SpracheDeutsch
VerlagKönigshausen & Neumann
Verlags-Code05/5108091

Autor*innen

Rohse, Heide