Beschreibung
Der “grüne” Heinrich, Held und autobiographischer Erzähler in Gottfried Kellers Roman, ist scheinbar darum bemüht, sich von seiner Kindheit und Jugend zu lösen, und strebt für seine Zukunft eine Malerlaufbahn an. Doch dies ist nur sein “offizielles” Porträt, das er in seinem Jugendbuch entwirft. Zwischen den Zeilen entsteht ein ganz anderes Bild, das einen sich insgeheim an die Kindheit klammernden Helden zeigt, der sich lieber in der mütterlichen Stube einer intensiven Lektüre widmet als sich den Regeln des öffentlichen Lebens zu unterwerfen. Anhand des Lesestoffs sowie der Leseerfahrungen des “grünen” Heinrich untersucht die Autorin den widersprüchlichen Sozialisationsprozeß einer literarischen Figur, die zwischen dem Bemühen um eine authentische Auseinandersetzung mit der eigenen Person und der Unvermeidbarkeit kulturell vermittelter Ansprüche und Vorbilder hin- und hergerissen ist. Lektüren bestimmen freilich nicht nur das Selbstbild des Autobiographen, sondern prägen auch die Ästhetik des gesamten Romans. Dieser ist das Produkt einer intertextuellen Dynamik, oder, dekonstruktivistisch betrachtet: einer “Lektüre” des Textes. Die Autorin Anne Brenner, geboren 1966, studierte Germanistik und Geschichte in Bonn, Aix-en-Provence (Frankreich) und Göttingen. Sie promovierte 1998 mit der vorliegenden Arbeit.