Beschreibung
Thomas Mann nutzte die Kunst als großen Sublimationsraum, in dem er zeitlebens versuchte, aus den weltanschaulichen Quellen von Künstlertum und Bürgertum Erfüllungskonstrukte zu synthetisieren, die ihm in einem Leben voller unterdrückter Sehnsüchte Halt geben und ihn gleichermaßen vor Gott und der Welt so rechtfertigen sollten, wie er war. Manns Erfüllungskonstrukte, in die sich viele in der Thomas Mann-Forschung etablierte Themen wie etwa Religiosität, Narzißmus, Politik und Homoerotik, aber auch Alchemie, Okkultismus und Plastik einfügen, entwickelten sich durch drei Umjustierungen hindurch: Zunächst dominiert ein statisches Schicksal, geprägt durch den zeitlebens zentralen Leistungsgedanken und durch Einflüsse der Décadence und Manns frühe Nietzsche- und Schopenhauer-Rezeption. Dann wandeln sich die Bezugswerte hin zu einer immanent-entwicklungsorientierten Haltung, die in zeitgenössischen anthropologischen Ansätzen wie etwa jenem Max Schelers Anregungen und Rückhalt findet. Schließlich öffnen sich die Erfüllungskonstrukte der Bestimmung der Transzendenz, wobei Mann entscheidende Impulse von Kierkegaards Philosophie erhält. Die frühe Auffassung der Existenz als Verfallsgeschichte mit dem trotzigen Idealbild heroischen metaphysischen Aushaltens in künstlerischer “Größe” geht über in das Postulat von “Güte und Liebe”, das die Wandlung zu “Aufmerksamkeit und Gehorsam” anzeigt – einer Haltung, die sich aktiv und fortschrittsorientiert an den akuten sozialen und politischen Entwicklungen der Zeit beteiligt. Die anfänglich abgelehnte religiöse Sphäre wird so zunächst in der religiös indifferenten Haltung eines immanenten Entwicklungsglaubens aufgefangen. Manns späte Jahre schließlich werden zunehmend von der Hoffnung auf “Güte und Gnade” und dem Eingeständnis der Angewiesenheit auf ein übergeordnetes transzendentes Wesen dominiert. Der Kern von Thomas Manns Weltverständnis wandelt sich von “Größe” zu “Gnade”. Der Autor Werner Wienand, geboren 1965 in Großostheim, studierte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Germanistik, Philosophie und Anglistik, wo er im Februar 2000 bei Prof. Hermann Kurzke mit der vorliegenden Arbeit promovierte. Seit 1993 Redakteur, Fachjournalist und Musikreferent bei einer Unternehmensberatung.