Beschreibung
Daß Abdankung, der freiwillige Verzicht auf die Macht, zum schwierigsten zählt, zeigt der tägliche Blick in die Zeitung. Was daher in Geschichte und Politik die Ausnahme ist, wird bereitwillig als Legende, als Erfindung hingestellt: Die seltene Kunst der Abdankung steht daher meistens zwischen Realität und Fiktion – prominent bei Karl dem Fünften, aber auch schon bei Diogenes und Alexander, in der Papstgeschichte und auf dem (Musik-)Theater, in der Philosophie bei Meister Eckart und besonders bei Arthur Schopenhauer. Shakespeare zeigt das Scheitern und das märchenhafte Gelingen des Machtvakuums, bei Schiller gibt es dagegen nur den Sieg oder die Niederlage, aber keine Abdankung von der Macht. Es sind im frühen 20. Jahrhundert vor allem die Ränder der europäischen Kultur, die die Last der Macht als Lust und List des Verzichts erfahren, Fernando Pessoa in Portugal, Jorge Luis Borges in Argentinien, Gustav Mahler und Hugo von Hofmannsthal in Wien. Bis hin zu den utopischen Entwürfen von Ingeborg Bachmann oder Albert Camus erscheint die Kunst der Abdankung als Asyl, als alternative Aufgabe, die weniger Ausnahme als Regel sein könnte. Der Autor Mathias Mayer, geb. 1958 in Freiburg i. Br., ist seit 1995 Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Regensburg.