Beschreibung
Theodor Storms späte Novellen sind kleine polyphone Meisterwerke, in denen die mimetisch dargestellte Wirklichkeit immer wieder von Irrationalem, Dämonischem unterwandert wird. Dieses läßt sich nicht mehr auf einen metaphysischen Welthintergrund beziehen, sondern kündet von den unbewußten Kräften der menschlichen Seele und antizipiert damit auf dichterische Weise die Entdeckung Freuds. Oft zeigt bereits die Wortwahl an, daß die Handlungen Stormscher Helden von unbewußten Impulsen gesteuert sind. So konstituieren sich unterhalb der rationalen Logik der Handlungsentwicklung kohärente sekundäre Bedeutungsstrukturen, die in ein Spannungsverhältnis zu den manifesten Textebenen treten und die oft weder dem Autor noch dem Leser voll bewußt sind. Als Grundthema vieler Novellen läßt sich der Topos des Mutterfluchs aufweisen, der in mehr oder weniger verhüllter Form in Erscheinung tritt. Während die anderen poetischen Realisten auf je verschiedene Weise eine Läuterung der dargestellten Wirklichkeit anstrebten, nistet sich bei Storm in dem Epitheton “poetisch” das Unbewußte ein, so daß die empirische Realität weniger poetisch verklärt als vielmehr subvertiert wird durch das aus ihr Verdrängte. Der Autor Christian Neumann, geboren 1957, studierte Germanistik und Romanistik an der Freien Universität Berlin. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit in Frankreich unterrichtet er seit 1989 an einer internationalen Schule in Berlin, wo er im Mai 2001 mit der vorliegenden Arbeit promovierte. Verschiedene Publikationen in literaturwissenschaftlichen und fachdidaktischen Zeitschriften.