Beschreibung
Mit der Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen (Champollion 1822) gerät eine Jahrtausende alte europäische Faszinationsfigur ins Wanken: Die Vorstellung, daß die Hieroglyphen Bilder und Symbole sind. Ausgehend von einer konzeptionellen Rekonstruktion der wesentlichen Entzifferungsergebnisse zeichnet der erste Teil der Arbeit Konjunkturen und Argumentationszusammenhänge der Hieroglyphen nach. Er beginnt mit der antiken Übersetzungssituation, gefolgt von der spekulativen Emblematik der europäischen Renaissance sowie dem Universalsprachenparadigma des 16./17. Jahrhunderts (Kircher/Leibniz) und reicht bis zur philosophisch-poetologischen Hieroglyphe des Sturm und Drang (Hamann/Herder) und der frühen Romantik (Novalis/F.Schlegel). Der zweite Teil setzt sich mit F. Schlegels hinhaltendem Widerstand gegen die Entzifferung auseinander. Einerseits versucht Schlegel in seiner Spätphilosophie, die romantische Metapher Hieroglyphe historisch zu verorten und sprachphilosophisch auszuarbeiten, andererseits ist dieses Unternehmen nur dadurch möglich, daß er Champollions epochale Leistung in entscheidenden Punkten relativiert und spekulativ überbietet: Die Hieroglyphe wird zur universalen Figur der Integration aller theoretischen, lebensweltlichen und sogar aller privaten Widersprüche Schlegels. Die Studie beschreibt die Konjunktur und Krise des europäischen Kulturstereotyps „Hieroglyphe“ und zeigt seine Ausdifferenzierung in eine linguistische Erforschung einerseits und deren ästhetisch-spekulatives Kompensat andererseits. Die Autorin studierte Literaturwissenschaft und Musikwissenschaft an den Universitäten Gießen und Marburg.