Beschreibung
Wir vergessen, wenn wir es nicht beabsichtigen; wenn wir es aber beabsichtigen, so können wir nicht vergessen. Das Paradoxon beschreibt Vergessen als Mangelerlebnis. Der Autor behauptet dagegen, dass es einen Phänomenbereich gibt, in dem wir vergessen wollen können bzw. vergessen können wollen: in Kunst/Literatur empfinden wir Vergessen keineswegs störend, erleben es vielmehr genussvoll. Auf das kulturwissenschaftliche Gedächtnisparadigma und die politische Erinnerungsemphase antwortet mithin ein Plädoyer für die unverwechselbare Erfahrungsdimension und ästhetische Produktivität des Vergessens (Obliviologie). Wie aber lässt sich eine von Umberto Eco ironisch bestrittene und von Harald Weinrich historisch entfaltete Vergessenskunst theoretisch anregen und stützen? Im ersten Teil der Arbeit wird mit Freud die psycho-dynamische Ökonomie des Vergessens dargelegt, sodann mit Nietzsche eine rhetorische Ästhetik des Vergessens umrissen, schließlich Kierkegaards Lobrede aufs Vergessen als weithin unbeachtetes Kapitel einer nachromantischen Theorie des Vergessens gewürdigt. Über diese historische Rückführung leistet der Autor zugleich eine thetische Zuspitzung, die in eine Literarästhetik des Vergessens hineinführt: Im zweiten Teil werden vier zeitgenössische Literaturtheoretiker zusammengestellt, die allesamt starke Anleihen bei Freud, Nietzsche und Kierke-gaard machen. Während Harold Bloom den agonalen Vergessensaspekt des Autors zwanghaft werden lässt (Vergessenmachen) und Paul de Man den epistemischen Vergessensaspekt des Textes ausweglos denkt (Vergessenlassen), widmen sich Roland Barthes und Wolfgang Iser vornehmlich einer vergessenslogischen Phänomenologie des Lesens (Vergessen-können). Der Autor Kai Behrens, geb. 1970, studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Konstanz, Bristol und Berlin. Promotion 2002.