Beschreibung
Die Moderne erliegt seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in immer stärkerem Maße der Faszinationskraft des Spiels, die sich nicht zuletzt in der modischen, aber indifferenten Formel ausdrückt: „Alles ist Spiel.“ Die Spielkategorie dient dabei als Grundlage für die Selbstbeschreibungen moderner Gesellschaften. Ihr wird nichts Geringeres zugemutet, als eine sich ausdifferenzierende und unübersichtliche Lebenswelt in ihrer Gesamtheit zu beschreiben und noch einmal in den Griff zu bekommen. Diese Hoffnung auf gelingende Selbst- und Weltbemächtigung angesichts moderner Entfremdungserfahrungen findet sich bereits am Anfang der ästhetischen Begründung des Spielbegriffs um 1800. Dieser gewinnt seine herausragende Bedeutung gerade in Verbindung mit Identitätsstiftungsproblemen in der Moderne. Im und mit dem Spiel soll eine punktuelle Freiheitserfahrung und gelingende Ich-Konstitution erreicht werden, die Voraussetzung für ein geglücktes Weltverhältnis ist. Diese Utopie des Spiels, die ein unentfremdetes Leben verspricht, ist unlösbar mit seiner begrifflichen Erfolgsgeschichte verbunden. Die stets wiederkehrende Aktualisierung des emanzipatorischen Potentials macht aus dem Spielbegriff eine wichtige ideengeschichtliche Klammer, die wesentliche Konzeptionen des späten 18. Jahrhunderts noch mit Theorien der Postmoderne verbindet. Der Autor Jörg Neuenfeld, geb. 1969; Studium der Neueren deutschen Literatur, Politikwissenschaft und Publizistik an der Freien Universität Berlin; Wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem DFG-Forschungsprojekt Derealisierung und Digitalisierung und Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin; Promotionsstipendiat des Landes Berlin; Veröffentlichungen u.a. zu Thomas Manns „Doktor Faustus“ und zu Botho Strauß; Mitarbeit am KulturHandbuch Berlin. Geschichte & Gegenwart von A-Z; Mitherausgeber von: Phänomene der Derealisierung, Wien 1999.