Beschreibung
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist das Verhältnis von Denken und Sein in den verschiedenen Phasen von Kants Denkentwicklung. Gezeigt wird, dass die vom Sein ausgehende Ontologie der vorkritischen Periode, die in Kants transzendentalkritischer Phase vorübergehend beiseite gedrängt wird, im Spätwerk erneut in den Vordergrund tritt. Diese Rehabilitierung der Ontologie im Nachlass, die jedoch keinen Bruch mit dem transzendentalen Denken bedeutet, sondern von Kant „eine Fortsetzung der Transzendentalphilosophie auf höherem Niveau“ genannt wird, ist für die Interpretation seiner Ethik von besonderem Interesse. Die von der heutigen Forschung immer noch als Standardinterpretation angenommene Auslegung, nach der die transzendentalphilosophisch begründete Lehre des kategorischen Imperativs das Herzstück der kantischen Ethik darstellt, kann aus der Sicht des „neuen Transzendentalismus“ der Spätphase nicht länger überzeugen. Der ethische Formalismus weicht hier dem Phänomen der konkreten sittlichen Erfahrung, das im Nachlasswerk als das eigentliche Grundphänomen der Moral angesehen werden kann. Der spezifi sch praktische Charakter von Kants Moralphilosophie gewinnt damit einen systematischen Stellenwert, den die Kantforschung bis heute kaum beachtet hat. Der Autor Andreas Noordraven, geb. 1951, studierte Niederländische Philologie, Philosophie und Jura in Amsterdam. Forschungsschwerpunkte: Kant und Kantianismus, Deutscher Idealismus und Erkenntnistheorie.