Beschreibung
Immer wieder ist in Kafkas Texten von Fotografien die Rede, so als ob sie etwas könnten, das sein Schreiben nicht kann. Um einige Beispiele zu nennen: In der Verwandlung sieht Gregor Samsa eine Fotografie, auf der er selbst – als Soldat – abgebildet ist. Im selben Zug wie der Hungerkünstler sich in der gleichnamigen Erzählung um seine Auslöschung bemüht, sieht er sich mit seiner medialen Vervielfältigung konfrontiert. Im Verschollenen betrachtet Karl Roßmann beim Licht einer Kerze das Bild seiner Eltern und kann dabei nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem erinnerten Vorbild erkennen. In seinem Briefwechsel mit Felice fordert Kafka immer wieder Fotografien von ihr ein, um ihr ‚leeres Gesicht‘ durch mediale Präsenz zu bestätigen. Kafka fühlt sich herausgefordert durch die Fotografie, die seinem Schreiben Bedrohung und produktiver Stachel zugleich ist. Die Autorin dieser Studie untersucht somit ein doppeltes Phänomen: Einerseits beleuchtet sie Kafkas literarisches Interesse am anderen Medium. Andererseits nimmt sie die Fotografie als Katalysator für ein ‚anderes Schreiben‘ in den Blick und folgt der These, dass dieses sich in Auseinandersetzung und Konkurrenz mit fotografischen Verfahren über seine eigenen Grenzen hinaus schreibt. Die Autorin Gesa Schneider, Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie in Lausanne, Berlin und Zürich. Promotion 2006 mit dieser Arbeit. Derzeit Projektverantwortliche beim Kulturunternehmen Heller Enterprises in Zürich.