Beschreibung
In den Massenmedien des 21. Jahrhunderts, insbesondere in der sich täglich erweiternden Informationsflut, die über das Internet auf uns einströmt, wird es immer schwieriger, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden. Die Quelle von Nachrichten, Daten, postings oder kollektiv hergestellten Texten (z. B. für Wikipedia) lässt sich kaum noch eruieren. Der historische Rückblick zeigt, dass sich die Gemengelage von Nachrichten und Erfundenem bis zu den Anfängen der modernen Massenmedien und der Unterhaltungskultur zurückverfolgen lässt. Zeitungen und Zeitschriften enthielten seit ihrem ersten Auftreten im späten 17. und 18. Jahrhundert neben faktischen Berichten auch literarische Beiträge, naturgemäß meist in Prosaform. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an war der Feuilletonroman ein unverzichtbarer Bestandteil fast aller europäischen Tageszeitungen. Durch den berühmten Feuilletonstrich wurde er vom ‚seriösen‘ faktischen Teil der Zeitung abgetrennt oder in Beilagen verbannt. Er stellte so etwas wie einen anrüchigen Freiraum der Phantasie und des Karnevalesken dar, der Leser und insbesondere auch Leserinnen anlocken sollte. Einerseits klangen die Meldungen, z. B. über faits divers, oberhalb des Strichs oft abenteuerlicher als alle Romanerfi ndungen, andererseits war die fi ktive Prosa mit faktischem Gehalt aufgeladen und nahm auf aktuelle gesellschaftliche Fragen und Probleme Bezug. In der Zeitung erscheint der Roman als eine Form von Nachricht, dadurch trug die Symbiose von Fiktion und Tatsachenberichten maßgeblich zur Herausbildung des literarischen Realismus bei. Der Autor Norbert Bachleitner ist Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien.