Beschreibung
Ein Grundsatz der abendländischen Philosophie besagt, dass der Mensch im Unterschied zum Tier die Sprache habe. Diese Unterscheidung regiert die Selbstbeschreibung des Menschen als zoon logon echon bei Aristoteles, als animal rationale bei Augustinus, Montaigne und Descartes, selbst als Dasein bei Heidegger. In den Abgrenzungen des Menschen vom Tier markiert das infantile Kind jedoch stets eine durchlässige Stelle. Es spricht nicht und entspricht somit nicht der Bestimmung des Menschen, ist aber auch nicht unter die Tiere zu zählen, denn anders als ein Tier kann ein Kind sprechen lernen. Philosophische Bestimmungen eines Begriffs des Menschen sind geprägt von Angst vor dem Infantilen, denn es stellt nicht bloß eine sprachgenealogische, sondern eine strukturelle Komplikation dar: das persistente Unvermögen, die Sprache souverän zu beherrschen, und damit das Ende der theoretischen – also begrifflichen – Erfassung der Welt. Die literarischen Autobiographien von Joyce, Nabokov und Benjamin nehmen hingegen Rekurs zum Infantilen und untersuchen es als Vorwegnahme und Vorsprung der Sprache vor jeder Artikulation, Bedeutung, und vor jedem Verstehen. Diese Texte weisen das Infantile als eine Offenheit für die Sprache auf, die jede Rede durchzieht, da sie das Sprechen und Verstehen allererst ermöglicht. Die Autorin Juliane Prade studierte Germanistik, Philosophie sowie Slavistik in Dresden, Prag und Frankfurt am Main und ist seit 2007 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt.