Beschreibung
Mit der zunehmend gewichteten Erkenntnis, dass Kafkas Texte selbst Interpretationen gezielt provozieren, ohne eindeutige Antworten zuzulassen, geraten deren eigene (literatur-)wissenschaftliche Voraussetzungen als „problematisierte Hermeneutik“ ins Visier. Indem Kafkas Texte Sprach-, Schrift- und Verstehensprozesse refl ektieren, inszenieren sie einen poetischen Übergriff auf theoretisches Terrain. Diese epistemologische Herausforderung ernst zu nehmen, stellt eine Gratwanderung dar, der Kafka nicht ausgewichen ist und der auch Johannes Schneider im wissenschaftlichen Rahmen nachzugehen versucht: Kafkas Texte führen inhaltlich und durch ihre Sprach- bzw. Denkformen zu der unausweichlichen Frage, wie eine Kritik an der Sprache in der Sprache möglich sein kann. In der Untersuchung zeigt sich, was Kafkas Texte so interessant und auch beängstigend macht: die auf einzigartige Weise demonstrierte Gleichzeitigkeit von sprachkritischer Reflexion, die sich sowohl im inhaltlichen Geschehen fiktional als auch durch die semantische Destruktion auf der Verstehensebene entfaltet, und poietischer Kreativität, die ebenfalls innerhalb der Texte auftritt und zugleich bei der Rezeption im Aneignungsvorgang beim Lesenden erzwungen wird. Damit führen die Texte Kafkas selbst eine auf die Opposition von wissenschaftlicher und ästhetischer Weltauffassung hinauslaufende, polarisierte Verwendung sprachlicher Modelle vor, deren Widerstreit nicht entschieden wird, sondern als notwendige Gleichzeitigkeit den Lesenden zur persönlichen Auseinandersetzung und Aneignung einlädt. Diese Form refklektiver Poesie Kafkas versteht Schneider im Ergebnis als poietisch-kritischen Experimentaldiskurs.
Der Autor Johannes Schneider, Studium der Germanistik, Philosophie und Ethik in Tübingen. Die vorliegende Dissertation ist das Ergebnis seiner jahrelangen Beschäftigung mit Kafkas Texten.