Beschreibung
Die vorliegende Studie befaßt sich mit der spezifi sch literarischen Dimension des Androgynen in einer für das Thema entscheidenden Zeit, der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Hier kommt es zum einen im historischen Geschlechterdiskurs zu einer verschärften Diskussion jener Grenzphänomene, die sich der Ordnung der Geschlechter entziehen; zum anderen ist dies die Schwellenzeit zwischen klassischer Mimesis- und beginnender Autonomieästhetik der Moderne. Während androgyne Grenzphänomene im außerästhetischen Geschlechterdiskurs einen Bruch der Ordnung bedeuten, avancieren sie für den Vordenker des deutschen Klassizismus, Winckelmann, zum Paradigma des klassizistischen Schönheitsideals. Auch Heinse spielt mit der Attraktion des Zweideutigen und probt den Tabubruch. Als Ideal und Groteske zugleich erscheint schließlich die geschlechtlich ambivalente Mignon-Figur in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre, deren erzähltechnische Konzeption bemerkenswerte Parallelen zu der zeitgenössischen Debatte über die Zieraten aufweist. So erscheint Mignon als das in Schrift überführte Ornament, als autonomieästhetischer Entwurf des ›in sich selbst vollendeten‹ Zeichens. Die Autorin Birgit Sick studierte Geschichte und Germanistik mit Schwerpunkt Anthropologie und Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Sie ist langjährige Editorin an der Arbeitsstelle Jean-Paul-Edition der Universität Würzburg, Bearbeiterin von Jean Pauls Siebenkäs und Herausgeberin seiner Satiren und Ironien.